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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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dunklem, geschnitztem Holz. Sie zeigte dasselbe Motiv wie die Bibliothekstür: einen Drachenkopf mit aufgesperrtem Rachen, jeweils eine Seite auf einem der Türflügel. Wie ein Teil des Schnitzwerks standen Wachen neben der Tür, deren Helme und Rüstungen wie ein Spiegel des Holzdrachen wirkten.
    Talanna beschleunigte die Schritte, während sie Adeen hinter sich herzerrte. Wohl oder übel musste er sich ihrem Tempo anpassen. »Ihr sitzt wohl auf Euren Ohren!«, fuhr sie die Wachen an. »Oben in der Akademie brennt es, und Ihr steht hier herum! Habt Ihr denn den Alarm nicht gehört?«
    Die Männer wechselten einen Blick, und obwohl Adeen unter den Helmen ihre Augen nicht sehen konnte, gab es keinen Zweifel an ihrer Verwirrung. Einen Moment herrschte Stille, dann sagte der Kleinere der Soldaten misstrauisch: »Seid Ihr nicht die Dame Talanna? Es heißt, Ihr wärt …«
    »… zum Feind übergelaufen?«, führte Talanna seinen Satz zu Ende. »Ihr habt offensichtlich wieder auf der Hauptversammlung geschlafen, Nirul. Ich habe die Rebellen ausspioniert, und jetzt bin ich zurück. Wie Ihr seht, mit einem Gefangenen für den Herrscher. Fragt Meister Charral, wenn Ihr mir nicht glaubt – aber ich fürchte, dass er von Eurer Begriffsstutzigkeit nicht begeistert sein wird.«
    Der Mann wirkte verunsichert. »Charral hat einen Preis auf Euren Kopf aussetzen lassen …«
    »Ein Teil des Spiels«, sagte Talanna mit aristokratischem Hochmut. »Meine Rolle musste schließlich glaubwürdig wirken, nicht wahr? Nun schlagt keine Wurzeln, helft bei den Löscharbeiten. Ich übernehme hier. Der Herrscher hat Charral mit der Leitung einer großen Beschwörung beauftragt, und wir werden viel Blut benötigen. Ich kümmere mich um die Gefangenen und bereite alles vor.«
    »Meister Charral wollte, dass sie zuerst verhört werden«, sagte der Mann namens Nirul misstrauisch.
    »Dazu bleibt keine Zeit. Unsere Soldaten da draußen brauchen magische Hilfe. Das Blut dieser Leute nützt uns jetzt mehr als alle Informationen, die sie vielleicht haben. Auch das habt Ihr offenbar nicht mitbekommen – unseren Truppen droht eine Niederlage.«
    Das schien die Wachen vollends aus der Fassung zu bringen. »Nicht möglich«, murmelte der andere Mann, der im Gegensatz zu Nirul eher hochgewachsen und dürr war. Hilfesuchend wandte er sich an seinen Kameraden: »Nirul, was sollen wir tun?«
    »Du hilfst den anderen«, antwortete Nirul entschlossen, »ich gehe der Dame Talanna zur Hand.«
    Die zweite Wache nickte und hastete mit klappernder Rüstung davon. Gleich darauf hatte das Dunkel des Ganges sie verschluckt.
    »Macht auf«, sagte Talanna und stellte sich hinter Nirul. Drohung und Anspannung lagen in ihrer Stimme. »Ihr verschwendet Zeit.«
    Mit dem Finger beschrieb der Soldat einige Zeichen auf dem geschnitzten Holz der Tür, und knarrend öffneten sich die Flügel. Sie traten hindurch, und es war, als würde das Maul des Drachen sie verschlingen. Der Stoß in die Seite, den ihm Talanna versetzte, ließ Adeen die Zähne zusammenbeißen. Er wünschte sich, sie würde ihre Rolle nicht ganz so ernst nehmen.
    Er atmete einen dumpfen, beunruhigenden Geruch ein, sowohl faulig als auch metallisch. Die geisterhaften Lichtflecken der Leuchtkristalle zeigten ihm einen dunkel gekachelten Raum, von dessen Wänden ihre Schritte widerhallten. In den Boden war ein Becken eingelassen, ein quadratischer Flecken Schwärze. Kälte kroch Adeens Beine empor. Alles, was er jemals über Blutopfer gehört hatte, all die düsteren Gerüchte, die man sich in den Arbeiterquartieren zuflüsterte, floss in seinem Kopf zu unerfreulichen Bildern zusammen.
    »Die Gefangenen sind hier, Dame Talanna«, sagte die Wache. »Soll ich den Mann für Euch anketten?« Seine Hand wies auf einen Teil des Gewölbes, der mit einem Gitter vom Rest abgetrennt war. Auf den Stäben blinkte der bläuliche Widerschein der Kristalle, dahinter herrschte Dunkelheit. Doch noch während Adeen hinsah, legte sich eine Hand um einen der Stäbe, dann folgte eine andere, und er sah Yoluans wutverzerrtes Gesicht aus der Schwärze auftauchen. Er hatte eine Wunde an der Schläfe, und sein Gesicht war blutverschmiert.
    »Talanna?« Seine laute, tiefe Stimme löste ein Echo aus, das nicht länger nach ihm klang. »Hol uns hier raus, du … du Verräterin, du verdammtes Stück Dreck!« Mit Erleichterung erkannte Adeen, dass sein Freund offenbar trotz der Verletzung in leidlich guter Verfassung war, sonst hätte er nicht

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