Flügel aus Asche
zersplitterte. Das Öl lief aus, fing Feuer, und mit einem Fauchen sprang eine Flamme empor. Adeen wich zurück, gerade noch rechtzeitig, damit die Flamme nicht nach dem Saum seiner Robe greifen konnte.
»Nimm die Zauber und lauf!«
Talanna kam die Treppe herabgerannt, einen Leuchtkristall in der Hand. Im Feuerschein wirkte sie wie ein Geist. Adeen starrte erst sie an, dann die Öllache, aus der noch immer Flammen hochzüngelten. Er konnte sich nur mit Mühe entscheiden, ob er nicht noch immer träumte.
»Beweg dich endlich und tu, was ich dir sage!«
»Was ist los? Was machst du hier? Warum bist du so plötzlich …«
Talanna schob ihn in sein Quartier, wo er die Zauber kopiert hatte. Gehetzt blickte sie sich um. »Wo sind sie?«
»Die Schriftrollen? Hier, in diesem Korb … aber ich bin noch nicht fertig …«
»Nimm alles und verschwinde von hier. Lauf die Straße hinunter in Richtung Außenbezirk, nimm die dritte Querstraße rechts, bis du zu einem alten Speicherturm kommst. Auf der Rückseite führt eine Leiter hinauf. Das ist Nemiz’ Quartier. Wenn du ihn siehst, sag ihm, der Drache muss auf der Stelle fortfliegen. Charral weiß alles. Er kommt mit seinen Leuten hierher. Wenn sie dich finden, bist du tot. Ich werde sie aufhalten.«
Vor Adeens Augen spielten sich die Ereignisse seltsam langsam ab. Er hörte zwar die Worte, verstand auch, was sie bedeuteten – dass Nemiz’ Plan jetzt nur noch fehlschlagen konnte, dass sie alle verloren waren –, aber alles war unwirklich, als beträfe es nicht ihn, sondern jemand anderen. Mit sonderbarer Klarheit nahm er Einzelheiten wahr: wie sich Talannas Gesicht verzerrte, als sie ihn anschrie, das Flackern der Flammen in ihren Augen.
»Die Bilder!«, rief er. »Wir müssen sie retten!«
»Dazu bleibt keine Zeit. Steh nicht herum, beweg dich! Nemiz braucht diese Zauber!«
Sie gab ihm einen Stoß vor die Brust, so dass er rückwärtstaumelte, und endlich löste sich seine Erstarrung. Er warf zum Schutz seine Decke über die Schriftrollen, griff nach dem Korb und hastete die Treppe hinauf, durch die Gänge des Museums, auf die Straße. Feiner Regen sprühte ihm ins Gesicht. Einen Atemzug lang blieb er stehen, um sich zu orientieren. Talanna war ihm gefolgt. Kurz sah sie ihn an, dann nickte sie ihm wie zum Abschied zu und tauchte ohne ein weiteres Wort in die Dunkelheit ein.
Sie würde kämpfen, und alles, was er tun konnte, um ihr zu helfen, war – in die andere Richtung zu laufen. Wasser spritzte, während er mit nackten Füßen durch die Pfützen rannte. Der Saum seiner Robe sog sich voll Regenwasser und schlug ihm gegen die Beine. Seine Augen begannen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, schon erkannte er die schwarzen Umrisse der Häuser vor dem dunkelgrauen Wolkenhimmel. Nirgends schimmerte Licht. Das Hämmern seines Herzens in seinen Ohren übertönte das Rauschen des Regens.
Jetzt nicht in Panik verfallen.
Er zwang sich, die Querstraßen zu zählen, an denen er vorbeikam, die dritte … Jeden Moment rechnete er damit, in unmittelbarer Nähe Rufe und das Klirren von Waffen zu hören.
Ein roter Lichtblitz leuchtete hinter ihm im Dunkel auf, der Boden bebte unter seinen Füßen, dann folgten die ersten Schreie. Der wütende, wilde Schrei einer Frau war darunter. Danach blieb alles ruhig, das verlassene Viertel lag in Schweigen da.
Der Gedanke, dass Talanna im Kampf sterben könnte wie Rasmi, bohrte sich wie eine Faust in seinen Magen.
Halt – das war die dritte Straße, und dort zeichnete sich die massige Form eines Speicherturms gegen den Himmel ab. Adeen rannte auf den Turm zu und schlug sich durch das Gebüsch, das ihn umwucherte, um auf die Rückseite zu gelangen. Hier herrschte eine so tiefe Schwärze, dass er sich mit der freien Hand an den feuchten Steinen der Turmwand vorantasten musste, während er mit der anderen den Korb voller Schriftrollen an sich presste. Wenigstens gab ihm das Gelegenheit, um wieder zu Atem zu kommen. Wo war diese Leiter, die Talanna erwähnt hatte?
Seine Finger stießen gegen glitschige Holzsprossen. Er griff danach und zog sich mühsam mit einer Hand die Leiter hinauf. Dass er barfuß war, erleichterte ihm den Aufstieg über das regennasse Holz, sonst hätte er allzu leicht den Halt verloren. Je höher er kam, desto mehr zerrte der Wind an ihm und rüttelte an der Leiter. Trotz des bewölkten Himmels und des Regens sah Adeen nun, dass der Morgen nahte: Am Himmelsrand ließ sich bereits ein bleifarbener Streifen
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