Flügel aus Asche
hastig und mit stummer Verbissenheit die Gassen abzusuchen.
Kälte hatte sich in Adeens Körper festgesetzt. Selbst die Hitze der Flammen spürte er kaum. Er irrte in den Gassen umher, zähneklappernd und durchnässt bis auf die Haut. Vor Angst und Anspannung hatte er die Zähne fest zusammengebissen. Wenn sie Talanna nicht fanden – oder wenn sie nur ihren Körper fanden …
Die Gasse beschrieb eine scharfe Biegung, und plötzlich sah er Talanna: Sie kniete auf der Straße neben dem reglosen Körper einer Wache. Die Hauswände rings um sie waren voller Ruß und Asche. Wenige Schritte neben ihr war eine Wand regelrecht gesprengt worden. Überall lagen Steine, kopfgroße Brocken und kleinere Splitter, und aus dem Loch in der Mauer ringelte sich Qualm empor. Mit Entsetzen bemerkte Adeen, dass der Tote neben ihr nicht der Einzige war – dort, wo die Hauswand von der Macht einer Explosion eingedrückt worden war, lag ein Körper, größtenteils unter Steinen begraben, das Leder seiner Soldatenstiefel schwarz verbrannt. Sogar die metallenen Sporen hatten sich unter der Hitze verformt. Auf der Straße brannten noch einzelne kleine Feuer, die Rückstände des Flammenzaubers. Der Leichnam, neben dem Talanna kniete, war zwar auch von Feuer gezeichnet, doch getötet hatte ihn offenbar ein Stein, der seinen Helm zertrümmert hatte. Blutfäden glänzten schwach auf dem Gesicht des jungen Mannes.
»Talanna!«
Er eilte zu ihr. Sie hatte die Arme um ihren Körper geschlungen und zitterte. Brandlöcher übersäten ihre Kleidung. Vorsichtig schob Adeen ihre Kapuze zurück. Ihre Brauen waren versengt und die Wangen ascheverschmiert. Als er sie berührte, gaben seine Beine fast unter ihm nach, so stark war die Welle aus warmer Erleichterung, die ihn überrollte.
»Bist du verletzt?«
Ihr Blick blieb auf den Toten gerichtet, der direkt neben ihr lag. »Was tust du hier?«
»Ich suche dich, was glaubst du wohl? Liebe Güte, ich bin so froh – so froh, dass ich dich gefunden habe!«
Hinter ihm hallte Nemiz’ Stimme über die Straße: »Da seid ihr ja! Talanna, bist du –«
»Es geht mir gut.« Sie klopfte an ihrer Kleidung herum, eine sinnlose Geste, da sie über und über mit Ruß bedeckt war. Nemiz packte sie bei der Schulter und zerrte sie herum, so dass sie gezwungen war, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Sie haben dich erkannt«, stellte er fest, als Talanna seinen Blick mit starrer Miene erwiderte. »Sie wissen nun, dass du für uns arbeitest.«
»Wir sind für den Augenblick in Sicherheit«, erwiderte sie. »Aber ich konnte nicht alle töten. Einige sind geflüchtet.«
»Wie konnte der Herrscher von unserem Plan erfahren?«
»Sie haben die alte Frau gefangen, Großmutter«, antwortete Talanna.
Großmutter gefangen und … das Übrige mochte sich Adeen nicht vorstellen. Mit Gewalt schob er die Bilder, die sich ihm aufdrängten, von sich. Er wusste, es gab nichts, was er für die alte Frau tun konnte, die ihm gegenüber stets so freundlich und großzügig gewesen war. Nein, es hatte keinen Zweck, darüber nachzudenken.
Die Rebellen umringten sie schweigend, und Nemiz sagte: »Wir brechen nach Gabta auf und führen unseren Plan durch.«
Adeen betrachtete die regennasse Truppe, die wild entschlossenen Gesichter, die Waffen, die in der Morgendämmerung den Rost an ihren Klingen offenbarten.
Ich habe nicht genügend Schwebezauber für alle geschrieben. Die Zeit hat nicht gereicht.
Er wusste es genau, doch er sprach es nicht aus.
Aber wer weiß, wie viele von uns überhaupt so lange leben, um eine der Schriftrollen zu benutzen.
»Wir sollten zusehen, dass wir aus der Stadt herauskommen«, sagte Nemiz. »Wenn wir einen geschützten Ort jenseits der Rakashfelder erreicht haben, besprechen wir kurz unser weiteres Vorgehen. Jeder von uns ist wichtig. Wir können nur Erfolg haben, wenn wir ohne Streit zusammenarbeiten und ihr genau das tut, was ich euch sage.«
»Wir dürfen die Bilder nicht zurücklassen«, sagte Adeen.
Nemiz’ Gesicht verdüsterte sich. »Wir müssen. Die Zeit reicht nicht. Du musst verstehen – wir retten die Künstler, nicht die Kunstwerke.«
Ein plötzlicher Windstoß fauchte durch die Straße, ließ lose Dachziegel klappern und zerrte an ihrer Kleidung. Nemiz hinkte davon, so rasch ihn sein steifes Bein trug. Seine Leute schlossen sich ihm schweigend an.
Talanna zögerte. Noch einmal wandte sie den Kopf und betrachtete die Toten.
»Kommst du?« Adeen streckte ihr die Hand hin.
Sie musterte ihn mit
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