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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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ausmachen, wo bald die Sonne aufgehen würde.
    Am oberen Ende der Leiter befand sich eine Tür, davor eine Plattform, kaum breit genug, um darauf Halt zu finden. Adeen klammerte sich an einen Wandvorsprung, stieß mit dem Ellbogen gegen die Tür und rief Nemiz’ Namen.
    Plötzlich schwang die Tür auf, und ein schwaches, metallenes Geräusch erklang im Dunkel. Er sah die Waffe nicht, hörte nur ein leises Klirren, als die Regentropfen darauf niederprasselten, und erstarrte unwillkürlich.
    »Ich bin’s, Adeen. N… Nemiz?«
    »Dummkopf! Was tust du hier? Du solltest in deiner Unterkunft bleiben!«
    »Der Vogel …« Fieberhaft versuchte sich Adeen zu erinnern, was Talanna zu ihm gesagt hatte. »Nein, der Drache … muss auf der Stelle fortfliegen.«
    Einen Moment lang herrschte Stille. Dann griff eine Hand nach Adeen und zerrte ihn unsanft über die Schwelle. Hinter ihm wurde die Tür zugeschlagen. Eine Kerzenflamme glomm auf und warf Licht auf Nemiz’ stoppelbärtiges Gesicht. Der Ausdruck des Mannes war steinern. »Dann ist es also passiert. Wo ist Talanna?«
    »Sie hat gesagt, Charral und seine Leute seien auf dem Weg hierher. Sie will sie aufhalten. Wir müssen ihr helfen!«
    »Ja, das werden wir«, erwiderte Nemiz düster. »Ohne ihre Magie erreichen wir Gabta nicht. Die Schriftrollen reichen als Waffe nicht aus.«
    Eine Waffe – hatte Talanna nicht selbst gesagt, dass Nemiz so über sie dachte? Die Worte gefielen Adeen nicht.
    Nachdem sich seine Augen an das Kerzenlicht gewöhnt hatten, konnte er auch den Raum erkennen, in dem er sich befand: Nemiz hatte sich im Zimmer des ehemaligen Turmverwalters ein spärliches Quartier eingerichtet, seine Möbel stammten offenbar noch aus der Zeit, als der Stadtteil bewohnt gewesen war. Es roch nach altem Fett und Moder.
    Nemiz wischte den Regen von seiner Klinge und steckte sie wieder weg. Jetzt erst erkannte Adeen, dass der schlanke Degen sich in dem Stock verbarg, auf den Nemiz sich gewöhnlich stützte. Kein Wunder, dass er ihn so rasch bei der Hand gehabt hatte!
    Das Haar hing Nemiz offen und zerzaust auf die Schultern herab, und er trug keine Stiefel. Dennoch wirkte er nicht so benommen, als hätte Adeen ihn aus dem Schlaf gerissen. Auf seinen Stock gestützt, der jetzt wieder ganz gewöhnlich aussah, hinkte er schwerfällig durch den Raum. Nur allmählich wurden seine Schritte etwas geschmeidiger.
    »Mach die Dachluke auf«, befahl er, »und häng diesen Korb mit Signalkristallen hinaus. Dann gieß Wasser darüber. Beeil dich! Ich kann nur hoffen, dass möglichst viele von uns das Zeichen sehen.« Er bückte sich nach seinen Stiefeln.
    Adeen hievte einen schweren Metallkorb voller holzkohleähnlicher Brocken die Dachluke hinauf und ließ ihn an einer Eisenkette hinab. Als die Regentropfen gegen die Metallstreben schlugen, fingen die Brocken bereits an, in schwachem bläulichem Licht zu glimmen. Aus einem halb gefüllten Eimer, der unter der Luke stand, schüttete er einen Schwall Wasser nach. Nun begannen die Kristalle unter Zischen und Prasseln gleißende Funken zu sprühen, die in alle Richtungen flogen und wieder verblassten. Von der Spitze des Turms aus musste dieses Signal auch bei schlechtem Wetter viele Straßen weit zu sehen sein. Offenbar hatte Nemiz seine Quellen, denn diese Kristalle wurden gewöhnlich nur vom Militär benutzt.
    Nemiz warf einen Blick aus der Dachluke und nickte zufrieden. »Gut. Hast du eine Waffe?«
    »Nein. Ich musste sofort aufbrechen.«
    »Hier.« Er warf Adeen einen Dolch zu, der mit leisem Klirren vor seinen Füßen aufschlug. Adeen hob ihn auf. Kalt und schwer lag die Waffe in seiner Hand. Der Himmel vor der Dachluke glühte auf, als ein grüner Funke emporsprühte, und ein schwacher Reflex fing sich in der Klinge. Für einen Moment sah Adeen sein dunkles Gesicht im Spiegel des Metalls.
Vielleicht,
dachte er,
werde ich schon bald töten müssen, wenn ich Talanna helfen will – oder man wird mich töten.
Alles war so unwirklich, dass er sich nicht einmal fürchtete.
    »Ah, ich sehe, du hast die letzten Schriftrollen mitgebracht«, sagte Nemiz. »Steck sie in meinen Rucksack.«
    »Hast du Siltkapseln?«
    »Nur ein paar. Dort drüben.« Nemiz wies auf eine Truhe neben seiner Schlafpritsche. Als Adeen den Deckel aufstemmte, fand er darin nicht mehr als sieben der milchig glänzenden Kristallkapseln. Besorgt runzelte er die Stirn.
    »Das genügt nicht.«
    »Stopf eben mehrere Schriftrollen in eine Kapsel.«
    »Das werden sie

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