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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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nachdenklichem Blick, ergriff seine Hand aber nicht. Hatte er wirklich gehofft, dass sie es tun würde? Stattdessen eilte sie an ihm vorbei und bahnte sich ihren Weg durch die Menge der anderen Rebellen, bis sie Nemiz eingeholt hatte. Dann begann sie leise mit ihm zu diskutieren.
    Adeen presste die Lippen zusammen und zog sich die durchnässte Kapuze tiefer ins Gesicht.

    Von einem verlassenen Weinkeller aus führte ein unterirdischer Gang in ein Gestrüpp knapp außerhalb der Stadtmauer. Der Tunnel musste bereits vor langer Zeit angelegt und irgendwann in Vergessenheit geraten sein.
    Adeen hatte sich bislang noch nicht einmal in die Nähe der Mauer gewagt. Die intensiven Kontrollen verhinderten, dass jemand auch nur seinen ihm zugewiesenen Wohn- und Arbeitsbezirk verließ. Übertrat man ein Verbot, und sei es nur ein geringes, konnte man sich schnell mit dem Gesicht am Boden und einem Stiefel im Nacken wiederfinden – wenn nicht noch Schlimmeres geschah. Und nun stand er auf der anderen Seite der Stadtmauer und blickte zurück. In der verregneten Dämmerung lag Rashija stumm und schwarzgrau da, dieser Ort, der aus der Nähe so quälend bunt und laut sein konnte. Er sah die Türme der Akademie und des Regierungssitzes, wie sie in den fahlen Himmel ragten, halb vom Nebel verhüllt, und alles erschien ihm aus der Ferne so wenig bedrohlich, dass er sich einen Augenblick lang fragte, wovor er eigentlich Angst hatte.
    Dann war der Moment vorüber. Adeen riss sich von dem Anblick Rashijas los, und die Angst war wieder da, ein lähmender Druck in Magen und Kehle. Nein, diese Stadt hatte einen großen Teil der Welt unterworfen, sie war nicht schwach, sondern sehr gefährlich.

7
    Die Flucht
    N emiz hinkte ohne Zögern voran, und sie folgten ihm. Noch immer rauschte der Regen herab, und Dunst, der vom Boden aufstieg, hüllte die Umgebung in einen Schleier, der ihre Sicht einschränkte. Die Silhouette der Stadt war aus ihrem Blick verschwunden, und den Rand der Insel konnten sie noch lange nicht ausmachen. Wolken türmten sich am Himmel.
    Adeen konnte nicht fassen, dass es geschah, dass er wirklich flüchtete. Die Angst war überwältigend. In einem Moment wäre er am liebsten in seine Absteige in den Arbeiterquartieren zurückgekehrt, um sich unter die abgerissene Decke seiner Schlafpritsche zu kuscheln und sicher zu sein, zumindest vorerst sein Leben gerettet zu haben. Dann wieder hob er den Kopf und sah Vögel über den Himmel huschen, Schemen, die sich kaum von den blaugrauen Wolken abhoben. Er wusste nicht, weshalb, aber ihm wurde leichter ums Herz.
    »Talanna?«
    Er schloss zu ihr auf. Noch immer war ihr Gesicht so reglos, dass es ihn beunruhigte. Ihre violette Haut hatte einen fahlen, bläulichen Stich. Irgendetwas musste dort auf der Straße mit ihr geschehen sein. »Was hast du?«
    »Nichts.«
    »Dieser Soldat, den du mit dem Feuerzauber angegriffen hast … hat er dir etwas angetan?«
    Talanna sah ihn nicht an. »Sein Name war Dared. Wir sind gemeinsam ausgebildet worden. Er konnte noch nie … seinen Schutzschild rechtzeitig aufbauen. Als er mich sah … rief er meinen Namen … er lief auf mich zu.«
    Es dauerte einen Moment, bis Adeen begriff, wovon sie sprach.
    »Er stand nicht im Zentrum der Explosion«, fuhr Talanna fort, »aber trotzdem zu nah. Ich wollte nicht, dass das passiert, aber … ich hätte ihn so oder so töten müssen.« Ein kaum verborgenes Grauen lag in ihrer Stimme.
    Sie hätte es getan. Bei allen Mächten, das hätte sie.
Einen Augenblick lang erinnerte sich Adeen an Talannas Verletzlichkeit, als er sie umarmt hatte. Dieselbe Frau hatte diese Soldaten nicht nur getötet, sondern mit ihrer Magie verbrannt und zerschmettert. Plötzlich sah er deutlicher als je zuvor, dass sie eine Draquerin war und die Unerbittlichkeit in sich trug, die das Regime des Herrschers von seinen Untergebenen erwartete. Sie war hart genug, um anzuwenden, was sie gelernt hatte, sogar gegen ihre eigenen Leute.
    Und er hatte Angst. Vor ihr, um sie.
    Nemiz führte die Gruppe durch die Hecken und schmalen Waldstreifen, die die Rakash- und Felsbrotfelder voneinander trennten. Das Gebüsch verhinderte, dass Wind die dünne Erdschicht abtrug und verwehte. Die Feldarbeiter mussten bereits seit Stunden auf den Beinen sein: Mit ihren Hacken bearbeiteten die ausgemergelten Gestalten den Boden, im Nebel häufig kaum mehr als verschwommene Schatten. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass niemand von ihnen den Kopf hob, es sei

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