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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Gruppe von Feinden geschleudert wurde und eine Explosion auslösen sollte. Allein bei dem Gedanken wurde Adeen elend zumute. Er erinnerte sich allzu deutlich daran, was Talanna noch vor wenigen Stunden getan hatte, ganz ohne Schriftrolle.
    Schließlich fasste Nemiz sie bei der Schulter. »Wir müssen weiter. Sobald wir Gabta kontrollieren, bleibt uns genügend Zeit, den letzten Zauber zu lernen.«
    Talannas Gesicht verriet Zweifel, aber sie erwiderte nur: »Du hast recht. Gehen wir.«
    Sie verließen ihre unsichere Zuflucht, und von neuem begann der Weg durch die Felder. Kaum jemand trug Proviant bei sich. Gegen den schlimmsten Hunger rissen sie ein paar Handvoll der unreifen, wildwachsenden Felsbrotfrüchte aus der Erde, wischten den gröbsten Dreck ab und kauten sie roh. Felsbrot war ein Pilz, der auch bei Trockenheit schnell wuchs und genügend Fruchtkörper produzierte, um die arme Bevölkerung von Rashija leidlich zu ernähren. Das Brot daraus war so hart, dass sie es in eine Pfütze tauchen mussten, um es aufzuweichen, ehe sie ein Stück abbeißen konnten. Ungeröstet war es sehr bitter, ein Geschmack, der noch lange im Mund blieb. Wer konnte, stopfte einige Früchte als Verpflegung ins Gepäck oder, wo keine andere Möglichkeit blieb, in die Ärmel.
    Auf Regierungstruppen stießen sie nicht, doch das hatte nichts zu bedeuten. Bei dieser schlechten Sicht konnten sich ihre Verfolger ganz in der Nähe befinden, ohne bemerkt zu werden. Bis auf das Brausen des Windes war kein Geräusch zu hören.
    Nemiz hatte eine schlanke Frau losgeschickt, die die Route vor ihnen auskundschaften sollte. Die meiste Zeit über sah Adeen sie nicht, doch hin und wieder kehrte sie zurück und meldete, dass ihr Weg frei war. Adeen wusste nicht, ob er glauben sollte, alle vergessenen guten Götter und Geister der Insel stünden auf ihrer Seite – oder ob diese Meldung erst recht ein Grund für Misstrauen und Besorgnis war. Nemiz jedenfalls wirkte zunehmend nervöser. Häufig sah er sich über die Schulter um, beschleunigte kurz darauf seine Schritte und blieb dann wieder stehen, um zu lauschen.
    »Was hat er?«, flüsterte Adeen Yoluan zu, der neben ihm dahintrottete.
    »Weiß nicht«, erwiderte Yoluan, ebenfalls mit gesenkter Stimme. »Aber wir müssen Nemiz vertrauen, dann bringt er uns sicher nach Gabta und auf den Boden. Was ist denn, Adeen? Du zitterst ja. Tun dir auch die Füße so weh? Und du hast auch noch so dünne Beine. Hier, trink einen Schluck.«
    Er hielt Adeen seinen Wasserschlauch hin. Dankbar für die freundliche Geste, nahm Adeen einen Mundvoll des erdigen Wassers und gab Yoluan den Schlauch zurück.
Zumindest Yoluan hat einen Grund gefunden, sich nicht zu fürchten,
dachte er.
Hoffentlich wird er nicht enttäuscht.
    Gegen Abend frischte der Wind auf, heulte und fauchte über die Ebene und blies seinen eisigen Atem auf die ohnehin schon durchnässte Gruppe. Adeen schauderte, machte sich aber nicht mehr die Mühe, seine erstarrten Hände anzuhauchen. Und dann plötzlich – er beobachtete gerade einen Vogel, der mit scharfen Rufen über ihnen kreiste – riss die Wolkendecke auf. Wie eine Wunde klaffte der Riss im Himmel über ihnen, und die untergehende Sonne färbte die Wolken rot und orange.
    Das Abendlicht ergoss sich auf die felsige Landschaft ringsum. Sie hatten die Felder hinter sich gelassen und näherten sich dem Rand der Hauptinsel. Adeen blinzelte, überwältigt von dem Anblick, der sich ihm bot: Dort vor ihnen, wenn auch noch ein Stück entfernt, hörte die Insel Rashija auf. Nur Felsen und windzerzauste Bäume und Büsche schützten einen unvorsichtigen Wanderer davor, in den Abgrund zu stürzen. Und dahinter schwebten vor dem tiefgrauen Himmel die Nebeninseln im Abendlicht. Ein Geflecht von schimmernden Ketten und Brücken verband sie miteinander und mit der Hauptinsel. Das Klirren der Ketten drang durch den Wind bis zu ihnen hinüber. Die meisten Inseln waren sehr groß, auch wenn sie aus der Entfernung nicht so wirkten, mächtige Felsbrocken mit einer dünnen Erdschicht. Adeen bildete sich ein, winzige Arbeiter auf einer von ihnen zu erkennen. Zwischen den Inseln trieben Steinsplitter, die vor langer Zeit abgebrochen waren. Der Wind wirbelte sie umher und formte immer neue, fremdartige Muster daraus. Den Boden konnte Adeen nicht erkennen, denn Wolken verhüllten ihn. Auch auf der Hauptinsel wehte der Wind heftig, riss an seiner Kleidung und zerrte bald von der einen, bald von der anderen Seite an ihm.

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