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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Je näher sie der Kante kamen, desto mehr nahm er zu.
    »Gabta!«, rief Nemiz.
    Mit seinem Stock wies er auf eine der Inseln, die in unmittelbarer Nähe des Randes von Rashija schwebten. Der Felsen, aus dem Gabta bestand, lief nach unten in einer scharfen Spitze aus, so dass die gesamte Insel wie ein abgebrochener Dorn aussah, der mit der stumpfen Seite nach oben in der Luft hing. Erst auf den zweiten Blick bemerkte Adeen den Turm auf der höchsten Stelle der Insel. Er schien aus einem Material zu bestehen, das vom Licht durchdrungen wurde und ihn beinahe unsichtbar machte. Nur ein mattes violettes Schimmern verriet ihn. Seine Spitze verschwand im Dunst. Deutlicher zu erkennen war der weiße Pfad, der sich über den Hang zum Turm hinaufschlängelte.
    Beim Anblick der Insel kam Bewegung in die erschöpfte Gruppe, alle reckten die Köpfe. Jetzt, da sie ihr vorläufiges Ziel vor Augen hatten, fühlte sich Adeen plötzlich erfrischt, und den anderen schien es ähnlich zu gehen.
    So weit sind wir also gekommen. Und wir leben.
    Mit seinem steifen Bein musste Nemiz erst recht am Ende seiner Kräfte sein, doch er ließ sich nichts anmerken. Aus halb zusammengekniffenen Augen starrte er lange auf die schwankende Brücke nach Gabta, ein Geflecht aus dünnen, rotsilbern schillernden Metallfäden. Sie war so schmal, dass keine zwei Personen nebeneinander Platz auf ihr gefunden hätten, und bestand aus flexiblen metallenen Platten, die im Wind hin- und herschwangen. Wolken zogen darunter vorbei. Soldaten bewachten die Brücke, ihre Drachenhelme glänzten im roten Abendlicht, als wären sie lebendig.
    »Verdammter Abschaum«, knurrte Nemiz. »Aber ich bin überzeugt, sie wissen nicht, dass wir kommen. Denen werden wir’s zeigen.« Er wandte sich um. »Jetzt ist Zeit, euch mit Zaubern zu bewaffnen. Hier, nehmt jeder eine Schriftrolle, aber setzt sie nur ein, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Wir dürfen unsere Kraft nicht leichtsinnig verschwenden, wer weiß, was uns auf Gabta erwartet.«
    Er verteilte die Schriftrollen mit den Zaubern, die Talanna ihnen vorhin beigebracht hatte. Adeen erhielt eine mit einer Eiszauber-Kennung. Nach der Zeit, die sie in Nemiz’ Rucksack verbracht hatte, war sie bereits aufgeweicht und zeigte erste Risse an den geleimten Stellen. Er erkannte die leicht wackligen Zeichen am oberen Rand wieder: Das musste die Rolle gewesen sein, an der er gearbeitet hatte, nachdem ihn das Bild des Vogels heimgesucht hatte. War das ein böses Omen? Besorgt schob er sie in den Ärmel seiner Robe – nasser konnte sie ohnehin kaum noch werden – und wiederholte im Geist die Worte, die Talanna ihm beigebracht hatte.
    »Überzeugt euch, dass niemand von uns vor euch steht, wenn ihr die Zauber anwendet.« Talanna musste fast schreien, um das Brausen des Windes zu übertönen. »Die Magie weiß nicht, wer euer Feind ist. Seid vorsichtig, sonst nehmt ihr den Truppen des Herrschers die Arbeit ab.«
    »Merkt euch das!«, befahl Nemiz. »Talanna und ich greifen als Erste an, ihr folgt, sobald ihr die ersten Gegner am Boden seht. Wir müssen um jeden Preis über diese Brücke.«
    Mit steifen Fingern griff Adeen nach dem Dolch, den Nemiz ihm gegeben hatte. Er hoffte immer noch, dass er ihn nicht brauchen würde – auch wenn das sehr unwahrscheinlich war.
    Sie hielten sich parallel zu der Straße, die Richtung Gabta führte und die der Regen in eine schlammige Masse verwandelt hatte. Langsam näherten sie sich der Brücke. Das Gelände war uneben und abschüssig, Büsche, Bäume und Felsen gewährten ihnen notdürftige Deckung. Zumindest mussten sie sich nicht mehr bemühen, leise aufzutreten, denn der pfeifende Wind schluckte alle Geräusche.
    »Jetzt!«, rief Nemiz plötzlich.
    Er zog seinen Stockdegen blank, und Talanna und er stürmten Seite an Seite nach vorn. Unruhe kam in die Soldaten an der Brücke; sie mussten etwas bemerkt haben und spähten den Hang hinauf, aber die einbrechende Dämmerung schien ihnen die Sicht zu erschweren. Doch noch ehe Nemiz einen Zauber schleudern konnte, brüllte die Späherin: »Achtung!«
    Ein Ruck ging durch die Gruppe, alle Blicke folgten der ausgestreckten Hand der Frau. Kurz sah Adeen hinter einer felsigen Anhöhe etwas Rotes aufblitzen – ein Stück Stoff?
    Im nächsten Augenblick wurde der lange Hals einer Skada sichtbar. Dann setzte das Tier über den Felsen, und der rote Umhang seines Reiters blähte sich im Wind. Es war ein Magiersoldat der Wache, da gab es keinen

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