Flügel aus Asche
Zweifel. Er hielt das blanke Schwert in der Hand, die Klinge glänzte in der Dämmerung. Seine Kameraden folgten ihm auf dem Fuß. Nemiz und Talanna brachen ihren Angriff sofort ab und rannten zu der Gruppe zurück, doch auch die Wachen an der Brücke hatten sie nun gesehen und griffen an. Auf einmal waren sie umgeben von den stampfenden Füßen und peitschenden Schweifen der Skadas und den klappernden Rüstungen der Soldaten. Entsetzt wich Adeen zurück und prallte gegen Yoluan. Sie waren umzingelt!
»Wen haben wir denn da«, sagte der Mann, den Adeen als Ersten bemerkt hatte. Er war groß und hager und trug eine prachtvolle rote Stoffrüstung, die ihn als Anführer des Trupps kennzeichnete. Wie bei den anderen war sein Gesicht hinter einem geschnitzten Drachenhelm verborgen, doch seine Stimme verriet Spott und Verachtung. Die bemalten Schuppen seiner Rüstung glänzten feucht, wirkten lebendig. Es war, als hätte sie ein Rudel Halbmenschen eingekreist, Kreaturen, von denen keine Gnade zu erwarten war. »Unseren Freund Nemiz und seine Helden der Verzweiflung!« Entspannt saß er auf seiner Skada, die Zügel lässig in der Linken. Adeen bemerkte, dass die Haut seiner Hände – die einzige Stelle seines Körpers, die die Rüstung nicht bedeckte – bläulich schimmerte. Er musste ein Draquer sein wie Talanna. Wenigstens war es nicht Charral! »Ja, dachtest du, der Herrscher kennt deinen Namen nicht? Was hattest du denn dieses Mal vor, Nemiz? Wolltest du dich mit diesem Haufen Abschaum vom Rand Rashijas in die Tiefe stürzen? Wir würden dich gerne gewähren lassen, aber dieses Mal hast du Luarans Tochter mit hineingezogen.« Der Mann hob die Hand und wies auf Talanna. »Mädchen, komm her. Dein Ehemann erwartet dich, und der Herrscher lässt dir seinen Dank ausrichten. Durch deine Hilfe haben wir die Bande endlich aufgespürt.«
Adeen erstarrte. Was seine Worte andeuteten, konnte doch unmöglich wahr sein! Talanna stand auf ihrer Seite, sie hatte so viel gewagt.
Bereits bei den ersten Worten des Mannes war Talanna in Kampfposition gegangen und hatte die Hände ausgestreckt, wie um einen Feuerball auf den Gegner zu schleudern. Doch sie zögerte.
Grimmig trat Nemiz vor sie. »Keiner will deine Lügen hören!«
Talanna hatte ihre Stimme wiedergefunden. »Ich weiß, warum der Herrscher mich zurückwill, und das, obwohl ich eine Verräterin bin. Wenn er so viel Freude am Züchten hat, soll er sich Skada-Weibchen zum Brüten suchen!«
Der Mann war der Einzige, der lachte, ansonsten herrschte Schweigen. »Wir alle bringen unsere Opfer, Talanna.«
Wie von selbst schoben Adeens Finger den Dolch in den Gürtel und tasteten nach der Schriftrolle in seinem Ärmel. Behutsam rollte er das feuchte Papier auseinander. An vielen Stellen war die Tinte bereits verlaufen, doch insgesamt schien der Zauber noch intakt.
»Lasst sie in Ruhe!«, rief Adeen, so laut er konnte. Es war erschreckend, in der Stille die eigene Stimme zu hören, zu sehen, wie sich der Drachenhelm des Anführers langsam zu ihm umwandte. Mit den Ellbogen bahnte sich Adeen einen Weg durch die Gruppe, bis er dem Mann gegenüberstand. Er roch das eingefettete Leder des Zaumzeugs, den süßlich scharfen Gestank der Skada. Plötzlich fühlten sich seine Beine an, als wollten sie ihm jeden Moment den Dienst versagen, doch er hob entschlossen den Kopf und blickte den Magierkrieger an, dorthin, wo sich unter den Sehschlitzen des Helms die Augen befinden mussten.
»Was willst du denn, Krähe?« Die Verblüffung war dem Mann anzuhören.
Adeen richtete die Schriftrolle auf ihn. Seine Zunge stolperte durch die Worte, die Talanna ihm beigebracht hatte, er verhaspelte sich, musste sich wiederholen. Noch ehe er den Zauber zu Ende gebracht hatte, gab der Mann einen überraschten Ruf von sich, riss an den Zügeln der Skada und zerrte sie zurück. Er reagierte zu spät. Ein rotgelber Funke glomm von dem Papier in Adeens Händen auf, fraß sich in das erste Schriftzeichen hinein, bis es rot aufglühte, dann in das nächste. Erschrocken ließ Adeen die Rolle los. Sie segelte nicht sofort zu Boden, sondern schwebte in der Luft. Dann wuchs der Funke zu einer Flamme an und verschlang sie. Noch im selben Moment färbte sich die Flamme weißblau, und wie ein fauchender Windstoß schoss der Eiszauber auf den Anführer der Soldaten los. Zugleich erkannte Adeen, dass er einen Fehler gemacht hatte: In seiner Unerfahrenheit hatte er nicht richtig gezielt. Der Zauber traf die Skada gegen
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