Flügel aus Asche
Verletzt ihn, aber schlagt ihn nicht gleich tot. Sollte es misslingen, nutzen wir die Zauber. Talanna, wie steht es mit –«
»Einen Angriffszauber oder zwei«, unterbrach sie ihn, »nicht mehr.«
»Das wird fürs Erste genügen. Wir beide nehmen uns denjenigen vor, der das Kommando hat.«
»Ja. Aber ich warne dich: Wenn meine Kräfte aufgebraucht sind, wirst du auch auf meine guten Ratschläge verzichten müssen. Dann kann ich niemandem mehr helfen.« Talanna zeigte ein Lächeln, das eher einem Zähnefletschen glich. Adeen zweifelte nicht, dass sie die Wahrheit sagte, und dass sie dasselbe dachte wie er auch: Noch immer betrachtete Nemiz Talanna als seine beste Waffe, und jetzt, da sie so weit gekommen waren …
Du kannst nichts für sie tun, Krähe, warum zerbrichst du dir den Kopf?
Die Rebellen verständigten sich mit Blicken, wer sich zusammenschließen wollte, um einen der Magier außer Gefecht zu setzen. Adeen zuckte zusammen, als Yoluan seine Schulter berührte. »Wir arbeiten zusammen, Krähe«, sagte der Mann leise zu ihm. Adeen nickte. Ein warmes Gefühl von Dankbarkeit ergriff ihn, denn ihm wurde klar, dass Yoluan versuchte, ihn zu beschützen, weil er verletzt war. Um einen Gegner zu überwältigen, war er auf Adeens Hilfe gewiss nicht angewiesen. Und er hatte die Nase über ihn gerümpft, weil er nach Skada-Mist roch!
Eine Treppe führte nach oben. Auch sie schien aus Kristall zu bestehen und fühlte sich unter Adeens nackten Füßen lauwarm und beinahe lebendig an. Je länger der Aufstieg dauerte, desto mehr wuchs seine Anspannung. Er hatte den Dolch gezogen, den Nemiz ihm gegeben hatte, und obwohl er ihn nur in der Linken halten konnte, fühlte er sich mit ihm ein wenig sicherer. Zudem war er froh über die Deckung, die ihm Yoluans breiter Rücken gab. Auch wenn er wusste, dass er sich kaum verteidigen konnte, war er entschlossen, die Waffe zu benutzen, wenn es sein musste.
Das farbige Licht, das von oben zu ihnen herabdrang, wurde heller, schien an- und abzuschwellen. Ein seltsamer Druck saß auf Adeens Stirn, auf seinen Schultern, erschwerte ihm das Atmen.
Grüner Stein, schwarze Adern, jemand packt mein Handgelenk …
Er biss die Zähne zusammen und schob die Bilder beiseite, die sich in seinen Geist drängten.
Plötzlich hörten sie Gemurmel, das von oben herab zu ihnen vordrang. Abrupt blieben sie stehen, um zu lauschen. Zwar ließen sich einzelne Worte nicht unterscheiden, aber der besorgte Tonfall war unverkennbar. Wie viele Stimmen waren das, drei, vier, oder mehr?
»Ob sie wissen, dass wir kommen?«, wisperte eine Frau neben Adeen. Ein flammender Blick von Nemiz traf sie und ließ sie sofort verstummen.
Adeen sah, wie sich Nemiz’ Körper anspannte. »Wir können nicht warten, bis sie uns bemerken. Wir greifen an – jetzt! Für die Freiheit von Rashija!«
9
Zwischen Himmel und Erde
N emiz und Talanna stürmten die letzten Treppenstufen hinauf nach oben, und der Rest der Gruppe folgte ihnen. Die Tür war nicht verschlossen. Als Talanna sie öffnete, strömte gleißendes Licht heraus und ließ alle aufstöhnen. Doch Talanna hatte sich sofort wieder im Griff und setzte als Erste einen Fuß in den Raum. Dann versperrten Adeen andere Körper die Sicht, jemand rempelte ihn an, und Yoluans tiefe Stimme brüllte: »Los, Krähe!«
Auch er hatte die Treppe nun hinter sich gebracht. Der Raum an der Spitze des Turms war in flimmerndes, vielfarbiges Licht getaucht. Für Adeens geblendete Augen waren die Magier kaum mehr als Schatten, alles andere – Wände, Boden und die Kuppel über ihren Köpfen – glühte und pulsierte, doch ihm blieb keine Zeit zu prüfen, woher das Licht stammte. Er warf Yoluan, der mit grimmigem Gesicht auf einen der Schatten wies, einen Blick zu, nickte und rannte zusammen mit seinem Gefährten auf den Gegner los. Der Magier hob eine Hand. Ein grässliches, reißendes Geräusch ertönte, und Yoluan stürzte aus vollem Lauf zu Boden und wand sich mit gebleckten Zähnen. Adeen hatte keine Gelegenheit, ihm zu helfen: Erneut sah er, wie der Magier die Hand ausstreckte, und wusste, dass der nächste Angriffszauber ihn treffen würde. Er warf sich gegen den Feind, stach halbblind mit seinem Dolch auf die verschwommene Gestalt ein und spürte fassungslos, wie die Klinge in lebendiges Fleisch drang. Der Mann schrie. Im nächsten Moment traf Adeen ein Hieb von einem stumpfen Gegenstand und ließ ihn taumeln. Um ihn herum dröhnte der Raum von Schreien und dem Fauchen und
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