Flügel aus Asche
bereitwillig von Yoluan aufhelfen. Vor seinen Augen flimmerten Muster, dieselben, die er schon einmal gesehen hatte … fließende Linien und geborstene Kanten. Sie glühten vor ihm wie grüne Feuerfunken, die in die Nacht stoben.
Was geschieht mit mir?
Nemiz hatte gesagt, er solle ihm Bescheid geben, sobald er sich an irgendetwas in diesem Turm erinnerte. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Wie sollte er außerdem in Worte fassen, was er erlebte? Die Bilder waren so unklar wie Bruchstücke aus einem Alptraum.
»Du hast heute schon eine Menge Blut verloren«, hörte er Yoluan sagen. »Verdammt, ich hätte deinen Arm abbinden sollen!«
Adeen kämpfte gegen den Strudel aus Schwärze und grüngelbem Licht an, der an ihm zerrte, und richtete den Blick auf Nemiz, Talanna und den Magier. Inzwischen hatte Nemiz den Mann losgelassen, hielt jedoch seine Klinge auf ihn gerichtet und sorgte so dafür, dass er sich nicht rührte. Der Draquer starrte hasserfüllt und mit funkelnden Augen auf Talanna. »Verräterin! Deine Verbrechen gegen den Herrscher werden dir nichts nützen. Er wird niemals zulassen, dass Gabta in die Hände von solchem Abschaum fällt.«
Talanna erwiderte seinen Blick schweigend. Es war Nemiz, der sprach: »Dafür ist es etwas spät, oder? Wir haben diese Insel übernommen. Du wirst sie von Rashija abtrennen und dafür sorgen, dass sie landet, genau so, wie es ursprünglich geplant war.«
»Ihr habt keine Ahnung, wovon ich spreche, oder?« Die Stimme des Magiers bebte, ob vor Angst oder Wut, vermochte Adeen nicht zu unterscheiden. »Wir haben einen Botenvogel zu Meister Charral geschickt. Ihr werdet nicht lebend auf den Boden gelangen.«
Adeen bemerkte, wie Talanna fast unmerklich zusammenzuckte, als Charrals Name fiel.
»Auch auf den schnellsten Skadas wird eure Verstärkung nicht rechtzeitig hier sein«, antwortete Nemiz voller Verachtung.
»Das mag sein. Aber Meister Charral ist ein mächtiger Luftmagier. Im Auftrag des Herrschers wird er den Sturm entfesseln und dafür sorgen, dass Gabta eher zertrümmert wird, als euch zu dienen.«
»Ich glaube nicht, dass Charral mächtig genug ist, um über eine so große Entfernung einen Sturm zu verursachen«, widersprach Talanna.
»Stürme werden
ausschließlich
auf große Entfernung verursacht.« Für einen Moment klang der Draquer wie ein Lehrer, wie der Wissenschaftler, der er war. »Habt ihr nicht die Felsbrocken gesehen, die zwischen den Inseln treiben? Die Luftwirbel halten sie größtenteils an ihrem Platz. Aber wenn ein Windmagier dieses Gleichgewicht mit einem gezielten Luftstoß durchbricht, werden sie den Turm in Stücke reißen.«
»Genau wie dich und deine Leute«, sagte Nemiz.
»Und euch.«
»Du redest zu viel. Wirst du jetzt die Verbindung zu Rashija trennen oder nicht?«
»Niemals.«
Nemiz ließ seine Klinge von der Brust des Mannes langsam höhergleiten, bis die Spitze seinen Hals berührte. Auf der roten Haut des Magiers blieb eine feuchte Spur zurück. »Ich töte dich, wenn du es nicht tust.«
»Das wirst du nicht wagen. Du brauchst mich. Außer mir kann niemand diese …« Seine Worte brachen in einem gurgelnden Aufstöhnen ab, als ihm Nemiz die Klinge in die Kehle stieß. Im selben Augenblick flammte der Stab des Mannes in rotem Licht auf und zerbröckelte knisternd zu Asche.
Vor Schreck schnappten alle in dem Raum hörbar nach Luft, Rebellen und Magier gleichermaßen, und Adeen fröstelte unwillkürlich. Er hatte gesehen, wie die Rebellen kämpften, aber er hätte nicht geglaubt, dass Nemiz einen Mann niederstechen würde, der wehrlos vor ihm kniete.
Langsam hob Nemiz den Kopf. In dem gleißenden Licht wirkten seine Augen und sein Mund wie verzerrte dunkle Löcher. Er gab dem zuckenden Körper zu seinen Füßen einen Tritt und wies mit der blutigen Waffe in den Raum. »Wer ist sein Stellvertreter?« Sein Brüllen hallte von den Wänden wider.
»Ich.« Eine Frau kauerte vor einem der Bücherregale am Boden und hielt sich den Arm, Blut quoll unter ihren Fingern hervor. Von einem ihrer Kampfzauber hingen noch Eiskristalle in ihrem Haar wie verirrte Schneeflocken. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. »Bitte … ich … meine Leute und ich … schont uns … wir werden alles tun, was Ihr verlangt …«
Verächtlich sah Nemiz auf den Draquer herab, den er getötet hatte, und seine Lippen kräuselten sich zu einem beängstigenden Lächeln. »Ich wusste, dass er lügt.« Er ging auf die Frau zu und setzte ihr
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