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Flügel aus Asche

Flügel aus Asche

Titel: Flügel aus Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaja Evert
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Schließlich sagte Nemiz: »Hier sollte es sein.« Behutsam wickelte er den Lichtkristall aus und ließ den blauweißen Fleck suchend über den Boden springen, wobei er sich bemühte, die Helligkeit mit einer Hand abzuschirmen. Nach dem langen Weg im Dunkel kniff Adeen geblendet die Augen zusammen. Viel ließ sich nicht erkennen: Ein paar verkrüppelte Bäume duckten sich in den Windschatten der Felsen. Plötzlich fiel das Licht auf eine hölzerne Tür, die in einen Felsen eingelassen war, und ein Stöhnen der Erleichterung lief durch die Gruppe.
    »Niemand hier.« Yoluans Stimme war die Anspannung deutlich anzuhören. »Sie wissen nicht, von welcher Seite wir kommen.«
    »Es könnte eine Falle sein«, gab Talanna zu bedenken.
    »Ja«, erwiderte Nemiz, »aber wir können so oder so nicht durch den Haupteingang hineinspazieren. Uns bleibt nur dieser Weg. Sie haben uns schon vor der Brücke in die Falle gelockt, und niemand stellt zwei Fallen auf. Sie haben nicht damit gerechnet, dass wir entkommen. Sehen wir, ob wir die Tür aufbekommen.«
    Adeen stützte sich an einem Felsen ab und nutzte den Moment, in dem sich ein Mann am Türschloss zu schaffen machte, um tief durchzuatmen. Inzwischen fror er so sehr, dass er nicht einmal mehr zitterte, ihm war schwindelig und übel.
Bald,
versprach er sich,
bald ist es vorbei.
    Die Tür sprang mit einem scharfen, schnappenden Geräusch auf. Dahinter lag nichts als Schwärze. Mit seinem Kristall leuchtete Nemiz die Wände ab. Poriger Fels und Fackeln in Halterungen wurden sichtbar.
    »Die brauchen wir nicht anzuzünden. Zum Glück haben wir dieses Schätzchen hier.« Fast zärtlich strich seine Hand über den Kristall. »Was auch immer uns dort drin erwartet, wir kämpfen uns durch. Und wir bleiben eng zusammen. Talanna und ich gehen vor, Yoluan hält sich hinten. Wenn wir angegriffen werden, benutzt eure Schriftrollen, aber denkt daran, was Talanna euch gesagt hat. Adeen, du bleibst in der Mitte. Los jetzt!«
    Zusammen mit den anderen drängte sich Adeen durch die Tür. Trockene, verblüffend warme Luft berührte sein Gesicht, und mit ihr wehte ein Geruch, der vertraut schien, den er aber nicht einordnen konnte. Er war wie eine kalte Hand im Nacken.
    Der Kristall beleuchtete Gänge, die sich durch den Fels zogen. Offenbar handelte es sich um ein natürliches Höhlensystem, das sich die Regierung zunutze gemacht hatte. Je tiefer sie vordrangen, desto mehr verstärkte sich in Adeen das Gefühl, dass er … schon einmal an diesem Ort gewesen war. Was für ein unsinniger Gedanke! Und dennoch … er atmete die Luft, die nach Erde, Metall und anderen, fremdartigeren Dingen schmeckte … Erinnerungsbilder schoben sich vor seine Augen, wie die Felsformationen, die jetzt im Licht des Kristalls vor ihnen auftauchten und aussahen wie menschliche Körper, erstarrt und halb mit den Höhlenwänden verwachsen. Sie waren nicht mehr als Bruchstücke, Splitter, die sich plötzlich in seinen Verstand bohrten, und er hätte kaum sagen können,
woran
genau er sich erinnerte.
    Jemand hatte ihn ausgezogen, ihn nackt ausgezogen …
    Schwärze. Ein Geruch nach Gewitter und faulendem Gras. Die Luft schien flüssig zu sein, so dass er kaum atmen konnte …
    Standen diese Erinnerungen in irgendeiner Verbindung mit diesem Ort? Oder hatte er etwas Derartiges geträumt? Es schien so viel wirklicher als die Traumbilder der letzten Wochen. Aber vielleicht bildete er sich das alles nur ein.
    Sie hatten einen Trakt erreicht, der an ein Gefängnis erinnerte: Kleine Hohlräume zu beiden Seiten des Ganges waren mit vergitterten Türen versehen. Der Bereich war verlassen. An vielen Stellen rieselte Staub von der Decke, hier und dort lagen größere Steine auf dem Weg.
    »He, nicht stehen bleiben, Junge!«
    Erschrocken fuhr Adeen zusammen. Er hatte mitten in der Bewegung innegehalten und ins Dunkel gestarrt, ohne es überhaupt zu merken. Die plötzliche Unruhe brachte auch Nemiz dazu, sich umzuwenden.
    »Tut mir leid«, murmelte Adeen und ertappte sich dabei, wie er aus alter Gewohnheit den Kopf einzog. »Es ist nur … es klingt seltsam, ich weiß, aber ich glaube, dass ich schon einmal hier war.«
    Jetzt starrten ihn alle an. Einen Moment später hatte Nemiz ihn bei den Schultern gepackt und an die Wand des Ganges gedrängt. Adeen schnappte unwillkürlich nach Luft, als ihm der Anführer so prüfend ins Gesicht starrte, als wolle er seine Gedanken entrollen wie ein Schriftstück.
    »Du weißt, wie wir zum Turm

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