Flügel aus Asche
auch darauf hin, dass zwischen ihnen und der Spitze des Turms noch ein gutes Stück lag. Wenn sich die Magier dort aufhielten, würden sie die Eindringlinge aus dieser Entfernung weder sehen noch hören. Voller Staunen betrachtete Adeen den kristallenen Pfeiler der Wendeltreppe. Dieser Pfeiler, diese Wände – all das musste aus Silt bestehen. Silt war der einzige bekannte Stoff, der gegen Magie resistent war. Sie floss nicht hinein und nicht heraus. Die Tintenfläschchen in der Akademie und die Schutzhüllen der Schriftzauber bestanden daraus und verhinderten, dass die Zauber ihre Wirkung verloren. Doch solche Mengen an reinem Silt hatte er noch nie gesehen.
Er suchte eine bequemere Position und sog erschrocken die Luft ein, als er mit seinem verletzten Arm etwas im Dunkeln streifte und das leise Klingen von Glas hörte. Doch Talannas Hand schnellte vor und fing das Gefäß auf, ehe es auf dem Boden zerspringen konnte.
»Danke«, flüsterte er ihr zu. Sie stand so dicht neben ihm, dass er die Wärme spürte, die ihre Haut ausstrahlte.
»Noch Schmerzen?«, fragte sie leise.
Mit der Linken tastete er vorsichtig nach dem Verband über seiner Schulter. Der Stoff fühlte sich warm und feucht an, und die Berührung zog ein Stechen nach sich. »Es geht. Was ist mit dir?«
»Was?«
»Vorhin hast du selbst gesagt, dass du nicht mehr lange durchhältst.«
Darauf ging Talanna nicht ein. »Adeen … du meinst, dass du vielleicht schon einmal hier warst … warst du auch in diesem Turm?«
»Ich weiß es nicht. Alles ist nur … sehr undeutlich. Worauf willst du hinaus?«
»Ich vermute, dass sich ein oder mehrere starke magische Speicher in diesem Turm befinden. Wir haben ihr Licht bereits aus der Entfernung gesehen. Vielleicht ist es das, woran du dich erinnerst.«
Ihr eindringlicher Blick schien in seinen Erinnerungen lesen zu wollen. Adeen bewunderte ihre Stärke. Auch wenn sie am Ende ihrer Kräfte sein mochte, sie ließ es sich nicht anmerken. Wie gern hätte er sie berührt.
»Davon weiß ich nichts«, murmelte er.
»Was bedeutet das?«, fragte Nemiz hinter ihnen mit gedämpfter Stimme. »Könnte es die Apparatur sein, mit der die Magier Gabta bei der Landung lenken wollen?«
»Mehr als das. Diese Speichervorrichtungen laden den Fels mit Magie auf und bringen ihn zum Fliegen. Angeblich soll es in Rashija eine ähnliche Konstruktion geben, nur größer.«
»Könnte uns das gefährlich werden?«
Talanna zuckte die Achseln. »Der Kristall schützt uns vor einer Entladung. Wahrscheinlich sind die Speicher harmlos, solange wir nicht in ihre Nähe geraten … und die Magier ihre Kraft nicht gegen uns verwenden.«
»Dann sollten wir sie überwältigen, ehe sie auf den Gedanken kommen.« Nemiz zögerte kurz, dann wandte er sich an seine Leute: »Haltet eure Schriftzauber bereit.«
Manche griffen in ihre Gürtel, wohin sie die Rollen geschoben hatten, um die Hände frei zu haben – und Adeen sah, wie im Dunkel helle Papierfetzen aufleuchteten, Bruchstücke der Rollen, die während der Flucht durchweicht oder zerbrochen waren und als winziger schillernder Regen zu Boden segelten. Er selbst hatte seinen Zauber bereits verbraucht. Mit seinem verletzten Arm, dachte er mit einem Anflug von Zynismus, würde er jetzt erst recht ein prächtiges Ziel bieten, wenn es zum Kampf kam.
»Es muss genügen«, sagte Nemiz. »Ich will ehrlich sein. Möglicherweise erwarten uns die Magier bereits. Aber sie wissen nichts über unsere Ausrüstung, sie wissen nicht, dass auch wir über Magie verfügen, und so sind wir trotzdem im Vorteil. Macht das, was ich mache, aber greift nicht an, ehe ich es befehle. Vielleicht brauchen wir die Wissenschaftler lebend.«
»Wie willst du die Insel steuern?«, fragte eine Frau.
»Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie hier, diesen Teil des Plans konnten wir nie proben. Die Wissenschaftler werden sie steuern können.«
»Das nennst du einen Plan?« Aufkommendes Entsetzen zeichnete sich auf dem Gesicht der Frau ab, und auch andere Rebellen murrten unruhig. »So könnte ich niemals …«
Nemiz’ Augen flammten auf. »Und deswegen wärst du auch niemals überhaupt aufgebrochen. Aber wir sind hier und werden bald schon den Boden sehen. Nun steht uns ein Kampf bevor. Wir sollten in der Überzahl sein, daher schlage ich folgende Taktik vor: Wir nutzen die Überraschung des Feindes, und jeweils zwei von uns stürzen sich auf einen Gegner und werfen ihn nieder, ehe er sich verteidigen kann.
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