Fluegellos
unterscheiden konnte. »Er ist weg«, lächelte ich. Jetzt lag der Schlüssel irgendwo am Grund des Rheins, nicht mehr zu unterscheiden von den anderen, tausend Schlüsselchen. Niemand würde das Schloss mehr lösen können.
Und das war sehr gut so.
Valentin nickte, legte seine Arme um meine Hüfte und schenkte mir einen langen Kuss. Ich erwiderte ihn. Ich genoss jeden einzelnen unserer Küsse wie den ersten. Jeder trug Hoffnung in sich, jeder zeigte mir, dass keine der Minuten, die ich hierfür gekämpft hatte, vergeudet war.
Ich löste mich von ihm und lehnte mich an seine Brust. Zufrieden lächelnd sah ich meinem Atem nach, der in weißen Wolken zum Himmel hinaufstieg. »Wann gehst du wieder arbeiten?«, fragte ich. Nachdem es ihm gelungen war, mich zu retten, hatte er sich doch wieder dazu entschieden, Rettungssanitäter zu werden. Das Krankenhaus hatte ihn fast schon stürmisch zurückbegrüßt. Außerdem waren wir zusammen in meine Wohnung gezogen, was die Mietkosten enorm gesenkt hatte. Jetzt waren wir nicht mehr auf den Job angewiesen, den Valentins Bruder ihm verschafft hatte.
»Meine Schulter braucht noch ein paar Tage«, lächelte er. »Danach bin ich wieder im Dienst.«
Ich kuschelte mich an ihn. »Das freut mich für dich. Es muss dir gefehlt haben.«
Er nickte. »Und wie geht es bei dir voran?«
Ich lachte. Er redete nicht von meinem Job, den hatte ich gekündigt. Ich hatte ursprünglich gedacht, dass es einfacher gehen würde, nachdem ich die Gedanken meines Chefs nicht mehr hören musste. Aber das hatte alles eigentlich nur schlimmer gemacht. Nein, Valentin redete von dem Buch, an dem ich arbeitete. »Meine Lektorin macht mir ganz schön Dampf«, sagte ich. »Sie ist wirklich so, wie du sie beschrieben hast. Immer übereifrig.« Es handelte sich bei ihr um Marlens Mutter, die freiberuflich arbeitete.
»Hast du dich schon entschieden, was für ein Genre du nimmst?«
Ich musste wieder lachen. »Fantasy.«
»Keine Biografie?«
Ich hob den Blick. »Bist du wahnsinnig?«
Er hob beide Schultern. Mittlerweile konnte er das wieder, auch, wenn er es eigentlich nicht sollte.
Ich schüttelte den Kopf und kuschelte mich wieder in seine Arme. Mein Blick lag auf dem Rhein, der tief unter uns floss. Schön, wie ruhig er wirkte, wenn die Luft kalt und klar war. »Nein. Keine Biografie«, murmelte ich.
»Engel haben in Biografien nichts verloren.«
Jetzt war es Valentin, der leise lachte. »Hat sie denn schon einmal ein paar Worte über mich verloren?«, kam er auf meine Lektorin zurück.
Ich schüttelte den Kopf und schwieg. Ich genoss den Moment, hier oben zu stehen, auf Köln hinab zu blicken und fernab von dem ganzen Stress der Innenstadt zu sein. »Sie ist übrigens wirklich wunderschön gewesen«, flüsterte ich nach einiger Zeit. »Genau so, wie du sie beschrieben hast.«
Er sah mich fragend an.
»Marlen«, erklärte ich. »Ich habe sie damals in deinen Erinnerungen gesehen. Sie sah aus wie ein Engel.«
Er schüttelte den Kopf. »Es kann nur einen geben.«
Ich musste lächeln. »Ich bin aber kein Engel mehr.«
Er hob seine Schultern. »Na und?«, sagte er. Ein geheimnisvolles, warmes Lächeln schlich sich auf seine Züge, als er mir einen liebevollen Kuss schenkte. Ich gab mich ihm hin und begriff, was die Menschen meinten, wenn sie sagten, dass Liebe jede Wunde heilen konnte. Dieser Augenblick war perfekt. Alles war perfekt. Und dann raunte mir Valentin ins Ohr: »Für mich wirst du immer ein Engel bleiben.«
Ja. Es war wirklich alles perfekt.
Über die Autorin
Lucy Cardinal wurde im Sommer 1996 mitten im Ruhrgebiet geboren und wuchs dort auf. Schon in der Grundschule verfiel sie der Sucht des Schreibens. Damals waren die Helden ihrer Geschichten Hundewelpen mit Superkräften oder sprechende Katzen, heute sind es Jugendliche und junge Erwachsene mit mehr oder weniger alltäglichen Problemen. Flügellos ist ihr erster Roman.
Aktuell lebt und studiert sie in der Nähe von Köln.
Weitere Kostenlose Bücher