Fluegelschlag
Stimme mutete ihr selbst fremd an und klang so zerbrechlich, wie sie sich fühlte. Einer Eisskulptur gleich, die jeden Augenblick zerschellen konnte und zu winzigen glitzernden Kristallen zerfiel. Staunend sah sie ihren Worten
nach, die wie auf Schneeflocken davonschwebten. Wo zuvor die Farben des Himmels regiert hatten, hatte nun ein majestätischer Gletscher das Zepter übernommen. Das Karussell der Illusionen nahm neue Fahrt auf. ZinZin und Bébête, die neben ihr standen, als seien sie nie fort gewesen, trugen nun das silberne Fell der Schneeleoparden. Wortlos entführten sie Juna in eine zauberhafte Weite, und sie konnte sich nicht sattsehen an den Lichtern, den Blau- und Grüntönen, die ihr Inneres durchdrangen, bis sie ein Teil von ihnen geworden war.
Am Ende ihres Wegs überquerten sie einen tiefen Abgrund, der vielleicht nur in ihrer Fantasie existierte, und das ständig wechselnde Licht gaukelte ihnen einen riesigen Saal vor. Zwei weiß gedeckte Tische, so lang, wie Juna sie noch nie gesehen hatte, bildeten darin ein Spalier. Männer und Frauen saßen daran, aßen, tranken und blieben doch durch das Fehlen jeglicher Farbe unwirklich wie Gespenster. Sie betrieben Konversation, das sah man an ihrer Gestik und der Art, wie sich ihre silbernen Häupter einander zuwandten. Leise Musik erklang, deren fremdartige Töne einmal anschwollen, bald darauf aber wieder nahezu verstummten, und trotz einer zarten Melodie, die das Herz berührte, merkwürdig körperlos wirkten, wie die Töne einer Glasharfe. Ansonsten hörte Juna jedoch nichts. Kein gesprochenes Wort störte den Zauber, und kaum jemand beachtete sie oder ihre Begleiterinnen, die wortlos zur Eile mahnten und den Gang entlang ihrem eigentlichen Ziel entgegenstrebten, das sie trotz ihrer guten Augen merkwürdigerweise nicht genau erkennen konnte, bis sie direkt davor abrupt zum Stehen kam, weil ZinZin ihren Arm ergriff und sie zwingen wollte, niederzuknien.
»Bist du verrückt geworden?« Juna wehrte sich. »In diesem Outfit kniet man doch nicht!«
Ein tiefes Lachen antwortete ihr, und als sie aufsah, stand ein Mann vor ihr, der so gar nicht in diese Eiswelt passen wollte. Dafür war er viel zu real und - ihr fiel kein anderer Begriff ein - viel zu heiß .
»Der Marquis«, sagte ZinZin kaum hörbar so dicht neben ihrem Ohr, dass sie die langen Schnurrhaare an der Wange kitzelten. Ein wenig abgelenkt beobachtete Juna, wie der Mann langsam die Treppe herabschritt, an deren unterem Ende sie stand. Er bewegte sich mit der Selbstsicherheit eines Siegers. Im Gegensatz zu seinem blonden Haar, das wie vom Wind zerzaust aussah und ihm dennoch äußerst kleidsam bis zum Kinn reichte, wirkte seine Kleidung nicht nur kostbar, sondern vielmehr so, als gäbe es jemanden, der allein für ihre Pflege zuständig war. Der schwarze Rollkragenpullover zu einer dunklen Hose bestätigte ihren ersten Eindruck. Dieser Mann trat wie jemand auf, der um seine Macht wusste und … um seinen Wert. Zweifellos attraktiv genug, um unter günstigeren Umständen Junas Interesse zu erregen, weckte er nun aber eher zwiespältige Gefühle.
In diesem ganzen Alptraum schien er auf den ersten Blick der Einzige zu sein, der leidlich normal wirkte, andererseits fand sie seinen prüfenden Blick außerordentlich beunruhigend. Das Lachen hatte seine Augen niemals erreicht, und sie fragte sich, ob es das überhaupt je tun würde. Die Spiegel seiner Seele glitzerten meergrün wie die See einer exotischen Inselwelt. Rasch sah sie beiseite und wusste selbst nicht, warum. Vielleicht wollte sie einfach nicht sehen, was sich hinter dieser strahlenden Fassade befand.
Er reichte ihr die Hand. Zum zweiten Mal an diesem
Tag, denn Juna erkannte in ihm ihren Retter … und den Dieb ihres Feuers! Instinktiv trat sie einen Schritt zurück. Die Katzenfrauen folgten geschmeidig ihrer Bewegung, um an ihrer Seite zu bleiben.
»Ich habe es nicht gestohlen. Sieh selbst!«
Seine Stimme glitt wie Seide über ihre Seele, und obwohl sie ahnte, dass er es darauf anlegte, ihr Vertrauen zu gewinnen, folgte sie seiner Bitte und blickte auf. Eine Kugel gefüllt mit knisternder Energie tanzte vor ihren Augen, und ehe Juna reagieren konnte, ließ er den Feuerball in ihre Handfläche fallen. Blitzschnell fuhren die Flammen ihren Arm hinauf und schossen mit ungezähmter Gewalt durch ihre Adern, so dass sie erschrocken nach Luft rang. Zu ihrem Erstaunen lächelte der Mann, als sei ihm ein besonders guter Trick gelungen. Die
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