Fluegelschlag
harten Züge wurden weicher, und das Lächeln verlieh ihm beinahe ein jungenhaftes Aussehen.
»Du musst lernen, es zu beherrschen, sonst verbrennt es dich eines Tages.« Er nahm ihre Hand, und das Feuer zog sich zurück wie ein Tier, das sich erschöpft vom wilden Spiel zum Schlaf zusammenrollt. »Komm!«
Juna fühlte sich wie in einer Traumsequenz, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie beruhigen oder ihr Angst machen und zu einem Alptraum anwachsen wollte. Unfähig, den Ablauf der Ereignisse zu beeinflussen, fühlte sie sich wie der Zuschauer eines längst abgedrehten Films über ihr eigenes Leben. War es das, wovon Menschen erzählten, die auf der Schwelle zum Tod ihr eigenes Sterben hatten beobachten können? Die einzige, wiewohl bewegende Emotion, die sie wahrnahm, war ZinZins Missbilligung von Bébêtes Verhalten. Das Katzenmädchen lief ihnen auf allen
vieren voraus und verschwand in einem riesigen Nomadenzelt, bevor irgendjemand reagieren konnte. Ihren Begleiter schien dies, anders als die vor dem Eingang postierten Wachen, zu belustigen.
Ach, wäre Arian doch hier!
Ein Laut riss sie aus ihren Träumen. »Was hast du gesagt?«
»N… nichts!« Juna reagierte ungewohnt sensibel auf Stimmungen. Sein Ton schmerzte, als glitte ein scharfes Messer durch ihren Leib. Sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
Als wisse er, was sie empfand, klangen die nächsten Worte wie das Schlaflied einer liebenden Mutter. »Sei ganz ruhig, Kleines! Niemand will dir etwas tun.«
Immerhin schien der Film ihres Lebens noch ein bisschen weiterzulaufen, und Juna glaubte ihm bereitwillig. Wer ist Arian? Warum ist er nicht bei dir, wo du dich so sehr nach seinem Geleit sehnst? Waren dies ihre oder seine Worte?
Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, und der eisige Span des Zweifels setzte sich unbemerkt in ihrer Seele fest, während eine Märchenkulisse aus Tausendundeiner Nacht ihre Sinne betörte. Die Wachen schlugen Felle beiseite, die den Eingang vor neugierigen Blicken schützten. Weihrauch und Amber begrüßten sie zusammen mit einer wohligen Wärme, die Juna wünschen ließ, ein ähnlich luftiges Gewand tragen zu dürfen wie die zierlichen Geschöpfe, die das Feuer schürten, Wein einschenkten und die Lagerstatt mit kostbaren Fellen polsterten, bevor sie sich, kleinen Blumenelfen gleich, flatternd zurückzogen.
»Nimm Platz!«
Selbst wenn sie gewollt hätte - seinen Anordnungen
konnte sie sich nicht entziehen. Juna sank nieder und streckte sich auf den bunt bestickten Daunenkissen aus. Er folgte ihr, die Lider halb geschlossen, das blonde Haar wirr, als habe er bereits eine wüste Nacht hier verbracht.
»Sag mir, wer du bist«, flüsterte eine Juna, die ihr vollkommen fremd war.
»Das weißt du doch längst!«
»My Lord Marquess …« Die andere gurrte diese drei Worte, und Juna schämte sich dafür, dass ihr gemeinsames Herz schneller zu schlagen begann. Langsam streckte sie den Arm aus und zeichnete die Linie seines Gesichts nach. Ihre Fingerspitzen berührten federleicht sein Kinn und flatterten bald tiefer, um weitere Regionen zu erkunden.
Er legte den Kopf schräg und betrachtete sie. Als sie die Kuhle unterhalb seiner Kehle berührte, gab er einen sinnlichen Laut von sich, der sie mit Befriedigung erfüllte. War es Juna selbst oder das fremde Wesen, das von ihr Besitz ergriffen hatte? Sie wusste nicht, wer von ihnen sich vorbeugte, um einen Kuss auf seine Lippen zu hauchen. Er erstarrte. Dann lief plötzlich ein Beben durch seinen Körper. Scharf sog er die Luft durch die Nase ein und sah sie an, als wolle er ihre Seele lesen. Diesen smaragdgrünen Blick, der sich mit einer atemberaubenden Intensität auf sie heftete, konnte sie nicht lange erwidern. Beschämt sah Juna beiseite und begegnete ZinZins süffisantem Lächeln. Die Katzenfrau rollte sich auf den Rücken, und ihre Schwester rieb den Kopf an ihrem Bauch. Es war nicht richtig, was sie hier tat und empfand!
»My Lord …«
»Was?« Eben noch ein sinnlicher Gefährte, stand er nun hoch aufgerichtet da. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt
dem Eindringling, der es gewagt hatte, ihre Zweisamkeit zu stören. Der Zauber war gebrochen. »Bete zu unserem Herrn, dass es eine wirklich wichtige Nachricht ist, die du mir überbringst!« Dies war seine andere Seite.
»My Lord.« Der Mann verbeugte sich tief und überreichte ein Kuvert, das der Marquis ungeduldig aufriss. Schnell überflog er die Zeilen. »Ruf den Rat zusammen. Jetzt.«
Ohne sich noch
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