Fluegelschlag
nicht trainiert, aber für die Pläne unseres Freundes hier reicht sein bescheidenes Talent.« Arian legte Nácar den Arm um die Schulter, als wären die beiden beste Freunde. »Ich hatte den Auftrag, die Angelegenheit aufzuklären, und bin dabei auf ihn gestoßen.« Er verschwieg wohlweislich, dass es ziemlich lange gedauert hatte, bis er hinter Johns Geheimnis gekommen war.
»Sieh mal an, wer hätte das gedacht …« Der Marquis musterte Arian mit neu erwachtem Interesse.
Juna hörte gebannt zu. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass ausgerechnet John ein wunderbares Talent wie das Engelsehen besaß. Wie schön es sein musste, seinen Schutzengel kennenzulernen. Iris hätte sich bestimmt über sie lustig gemacht, hätte sie ihr von diesem lang gehegten Wunsch erzählt.
»Wer ist Iris?«
Erschrocken hielt sie sich eine Hand vor den Mund. Alle drei sahen zu ihr. Arian ungläubig, der Marquis etwas ratlos und der Dämon in Seidenhosen eindeutig erfreut.
Arian unterdrückte den Impuls, zu ihr zu eilen. Irgendetwas musste mit ihr geschehen sein, sie konnte doch unmöglich
ihre beste Freundin vergessen haben. Vielleicht hatte der Schock, ihren Tod mit ansehen zu müssen, einen teilweisen Gedächtnisverlust ausgelöst. Als hätte ihre Seele entschieden, indem sie ihn ignorierte, bliebe der Schmerz aus. In ihrer jetzigen Situation war dies möglicherweise ein Vorteil. Später wäre noch Zeit genug, ihr das zweifellos schreckliche Erlebnis behutsam ins Gedächtnis zurückzurufen. Jetzt gab es nichts, das er für sie tun konnte, ohne seine Mission zu gefährden. Er wandte sich von Juna ab. »Wie dem auch sei. Den Rest der Geschichte kennen wir.«
»Kannst du diese abenteuerlichen Behauptungen beweisen?« Nácar klang derart selbstzufrieden, dass er nicht bemerkte, wie sein Chef ihn musterte.
»Die Schutzengel leben noch.« Arian wusste, dass er sich mit seiner Behauptung auf unsicherem Terrain bewegte. Aber John hatte behauptet, die Engel wären nicht getötet worden. Stattdessen seien sie an einen sicheren Ort gebracht worden. Gesehen habe er diesen allerdings nie. Mehr war nicht aus ihm herauszubringen. Die tätowierten Male, mit denen er an den Dämon gebunden war, hatten sich als außerordentlich haltbar erwiesen und sogar der Magie der Feen widerstanden. Was für Arian ein weiterer Beweis gewesen war, wie weit Nácars Pläne bereits fortgeschritten waren. Er wusste inzwischen von dem peinlichen Verlust einer ganzen Legion, den Nácar zu verantworten hatte, und von dessen Ehrgeiz, diesen Makel nicht nur loszuwerden, sondern endlich selbst eine wichtigere Position in der Hierarchie der Unterwelt einzunehmen. Er habe es dem Marquis offenbar nie verziehen, dass er zu einem der mächtigsten Heerführer aufgestiegen war, obwohl er von Anfang an nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als eines Tages wieder
ins Elysium zurückzukehren, erfuhr Arian aus seinen Quellen. Dafür hatte er zwar ein paar Gefallen einfordern müssen, aber dies waren ihm die Informationen wert gewesen.
Während seiner Tätigkeit für die Vigilie war er immer wieder einmal gefallenen Engeln begegnet, die sich entschieden hatten, unter Menschen zu leben. Sie waren zwar gezwungen, sich verborgen zu halten, um der Aufmerksamkeit der Gerechten zu entgehen, aber Arian hatte nie den Auftrag erhalten, ihnen dieses bescheidene Glück zu nehmen. Und er sah auch keinen Grund dazu. Stattdessen hielt er lockeren Kontakt zu einigen und hatte immer mal wieder einen wertvollen Tipp bekommen.
Arian hatte lange geschwiegen und dabei Nácar nicht aus den Augen gelassen, der inzwischen unruhig von einem Fuß auf den anderen trat und schließlich die Stille unterbrach: »Wenn das alles war, dann würde ich jetzt gern wieder nach Hause gehen.«
»Etwas dagegen, wenn wir dich begleiten?«
»My Lord! Wirklich, das geht zu weit. Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder dahergelaufene Grünschnabel in unserem Heim ein und aus gehen könnte?«
Der Marquis empfand wenig Sympathie für plumpe Anbiederungen. Er winkte seinen beiden Katzen, die inzwischen zurückgekehrt waren und das Schauspiel an Junas Seite neugierig verfolgten. »Ihr bringt die Kleine.« Dann legte er Arian die Hand auf die Schulter, dem er es hoch anrechnete, dass er bei dieser Berührung nicht einmal mit der Wimper zuckte. »Wollen wir?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schickte er Nácar mit einer Handbewegung voraus und folgte ihm gemeinsam mit Arian in dessen Quartier.
Kurz darauf erschienen
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