Fluegelschlag
sie nicht an.
Sirona hatte Juna ausgelacht, als sie von ihren Plänen erzählt hatte. »Bist du verrückt? Um diese Jahreszeit fährt doch niemand nach Skye. Wenn man nicht vom Dauerregen weggespült wird, weht einen der Sturm ins Meer.«
Juna hatte ihr widersprochen. So verregnet, wie immer behauptet wurde, war selbst die Westküste gar nicht, und das Wetter änderte sich häufig sehr schnell, wie überall am Meer.
Sirona war dabei geblieben. »Vor Mai kriegt mich niemand in diese Wildnis. Du hast jetzt so lange nicht gewusst, wer deine Mutter ist, da kommt es doch auf die paar Monate auch nicht mehr an.« Sie hatte vorgeschlagen, im Frühjahr ein schickes Ferienhaus zu mieten und sich dann gemeinsam auf die Suche nach ihren Wurzeln zu machen. Doch Juna hatte abgelehnt.
Endlich gab es eine Spur, und sie hatte nicht vor, länger
zu warten. Als sie sich während der Fahrt überlegte, wie und wo sie mit ihren Nachforschungen beginnen sollte, kamen ihr allerdings Zweifel, ob Sirona mit ihrer Empfehlung, besseres Wetter abzuwarten, nicht Recht gehabt hatte.
Kurz bevor sie Ballachulish erreichten, verkündete ein regionaler Radiosender, dass die Nachmittagsfähre wegen eines Maschinenschadens heute nicht auslaufen würde. Jetzt würde sie über die Skye-Brücke fahren müssen, was einen erheblichen Umweg bedeutete. Immerhin hatte Juna die Nachricht noch rechtzeitig gehört. Wenn sie erst in Mallaig am Pier gestanden hätte, wäre das ein riesiger Zeitverlust gewesen.
Ein Schild kündigte das Clachaig Inn Restaurant an. Kurzentschlossen bog Juna ab, um dort eine kurze Rast einzulegen. Sie war ohne Frühstück aufgebrochen, und ihr Magen knurrte. Als sie ausstieg, ließ der Regen nach - viel war dennoch nicht zu sehen, denn die Gipfel der umliegenden Berge verschwanden im Grau der Wolken, und um diese Jahreszeit hatten die kahlen braunen Berge rundherum ohnehin oft etwas sehr Abweisendes. Andererseits gab es kaum Touristen, was Juna eindeutig als Vorteil empfand.
Sie setzte ihre Kapuze auf und rannte schnell zum Restaurant. Am Eingang wartete sie ungeduldig auf Finn, der die Gelegenheit nutzte, gleich mehrere Duftmarken zu hinterlassen. Als sie endlich in das gemütliche Pub eintrat, hörte sie schon an der Sprache der wenigen Gäste, dass sie beide die einzigen Fremden waren. Niemand störte sich an dem nassen Hund. Im Gegenteil, die Frau an der Bar brachte Finn sogar eine Schale mit frischem Wasser.
Das Essen war gut, und nachdem Juna den leider etwas trockenen Apfelkuchen, der ihr als Nachtisch empfohlen
worden war und vermutlich vom Vortag stammte, mit reichlich Tee hinuntergespült hatte, drehte sie draußen noch eine kurze Runde, bevor sie sich wieder ins Auto setzte und Richtung Fort William aufbrach. Am Ufer des Loch Linnhe wurde die Straße breiter, um den Verkehr zügig durch den Ort zu führen. Heute aber kamen Juna nur wenige Fahrzeuge entgegen, obwohl der auffrischende Wind die Regenwolken vor sich her ins Landesinnere trieb.
Als sie in den Kreisel am Bahnhof einfuhr, erinnerten Supermarktschilder Juna daran, dass es in der kleinen Jagdhütte, die sie für wenig Geld gemietet hatte, nichts zu essen geben würde. Also bog sie auf den Parkplatz ab, um nachzuholen, was sie in Glasgow vergessen hatte: einkaufen.
Mit mehreren gut gefüllten Tüten kehrte sie zurück. Es war jetzt früher Nachmittag, und sie hatten noch fast hundert Meilen vor sich. Das klang nach nicht viel, konnte aber auf den Straßen, die durch die Highlands führten, bei schlechtem Wetter eine Fahrt von drei Stunden oder mehr bedeuten.
Es nieselte zwar im Moment nur noch, aber sie war ganz froh, dass sich der Ben Nevis auch heute in den Wolken versteckte, wie meistens, wenn sie hier vorbeikam.
Auch so musste sich Juna zweimal über die Augen wischen, denn die Erinnerung an ihren allerersten Ausflug mit Arian auf den Gipfel des Bergs tat weh. Sie müsste nur kurz die Lider schließen, und die Erinnerung an den warmen Sommertag und an ihre Verstimmung, als er sie in die kühle Einöde entführt hatte, wäre wieder da. Und plötzlich erwachte ihr Feuer mit einer Kraft, die sie erschrocken nach Atem ringen ließ. All die Leidenschaft, die sie während der kurzen gemeinsamen Zeit füreinander empfunden
hatten, schien sich jetzt einen Weg in die Freiheit bahnen zu wollen.
Juna begann zu schwitzen, ihre Hände umklammerten das Lenkrad wie einen Rettungsring. Der Wagen schoss die Straße entlang, vor ihren Augen loderten Flammen … bis sie
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