Fluegelschlag
Arian ihr folgen konnte, sperrte sie die Tür ab.
Sie öffnete ihren Schrank und überlegte. Fast alle Kleider, die darin hingen, gehörten Sirona.
Mein Engel ist nicht so für Luxus zu haben, ich parke sie hier nur zwischen. Du hast ja genügend Platz. Damit hatte sie auf die wenigen Kleidungsstücke gezeigt, die Juna hierher mitgebracht hatte, und ihr als Miete angeboten, sie könne alles anziehen, solange mein Engel dich nicht darin sieht.
Juna hatte jedoch keine Gelegenheit, Abendroben auszuführen. Sogar die Tageskleidung, die Sirona immer mal wieder mitbrachte, weil sie selbst ihre Sachen selten mehr als ein- oder zweimal trug, rührte Juna kaum an. Sie war ihr einfach zu elegant. Eines Nachmittags jedoch war sie der Versuchung erlegen und hatte ihre Leihgaben probiert. Jedes passte, als wäre es für sie maßgeschneidert worden.
Von der Auswahl überwältigt, griff Juna zuerst nach Altbekanntem.
Sie zog ihren einzigen Hosenanzug hervor, in dem sie bereits die Abschlussfeier der Uni Edinburgh besucht hatte.
Ich würde dich zu gern noch einmal in diesem Feenkleid sehen! Lucians Worte tanzten in ihrem Kopf herum. Diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun, aber vielleicht war das angesichts der Auswahl, die sich ihr bot, auch gar nicht erforderlich.
Juna drehte sich um und sah aus dem Fenster. Hatte Lucian ihr einen wertvollen Tipp gegeben, oder wollte er sie ins Messer laufen lassen? Sie machte sich normalerweise nicht viel aus Mode, was aber keineswegs hieß, dass sie nicht genau zuhörte, wenn Sirona über ihre Erlebnisse bei den Schauen in Paris oder New York berichtete. Juna hatte in ihrer Reenactment-Gruppe nicht nur den Schwertkampf erlernt, sondern verstand sich auch auf den Einsatz wirkungsvoller Kostüme. Sie traf eine Entscheidung und machte sich ans Werk.
Die Haare hatten ihr zu Beginn das größte Kopfzerbrechen bereitet, nun beschloss sie, aus der Not eine Tugend zu machen. Juna toupierte den Ansatz und band sie einfach oben auf dem Kopf zusammen. Anschließend steckte sie einzelne Strähnen locker zu einem Dutt, bändigte damit ihre dunkelrote Mähne aber nur unzureichend. Ihren zerwühlten Schopf fand Arian morgens hinreißend, sie bezweifelte jedoch, dass er sich heute daran erfreuen würde. Das Gleiche galt wohl für den etwas verrutschten dunklen Lidschatten, der ihren Augen etwas Geheimnisvolles gab. Lange, getuschte Wimpern und ein weicher Mund, der nach vielen Küssen aussah, ergänzten ihr Make-up.
Das Kleid fiel ihr regelrecht in die Hand, weil es vom
Bügel rutschte, als sie den Schrank noch einmal öffnete. Es bestand aus fließender Seide und war kaum länger als ein Hemd. Glücklicherweise gehörte eine Art Shorts dazu, so dass sich Juna frei bewegen konnte, ohne mehr preiszugeben, als sie wollte. Darüber zog sie ein knöchellanges Chassuble aus feinstem Tüll, das wie eine Schleppe hinter ihr herwehte, sobald sie sich bewegte, sowie eine Bolerojacke, die nur auf den ersten Blick wie ein zotteliger Pelz aussah, in Wirklichkeit jedoch aus zahllosen hauchzarten Schlaufenbändern bestand. Erst aus der Ferne betrachtet entfaltete sich der gewünschte Effekt leicht geöffneter Flügel, die noch nicht ganz den Kükenflausch verloren hatten.
Das Kleid stammte von einem jungen Designer, der seine erste große Kollektion passenderweise unter dem Motto Gefallene Engel vorgestellt hatte. Juna fiel keine bessere Gelegenheit ein, zu der sie es hätte tragen können. Nur die Schuhe gehörten ihr selbst: weiche Bikerboots, die an Junas schlanken Beinen ein bisschen aussahen, als seien sie ihr mindestens eine Nummer zu groß, ganz bestimmt aber zu weit. Nichts davon war der Fall. Sie waren bereits eingelaufen und passten wesentlich besser, als es den Anschein hatte.
Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr, dass sie genau den gewünschten Effekt erzielte. Obwohl sie viel Haut, vor allem Bein, zeigte und ihre Figur unter der schmeichelnden Seide kein Geheimnis blieb, wirkte sie keineswegs vordergründig aufreizend. Der wahre Reiz lag anderswo. Trotz ihrer Größe wirkte sie nun zart und zerbrechlich wie ein ätherischer Schutzengel, bei dessen Anblick selbst ein Dämon zögern würde, bevor er ihn gegen alle Regeln zum Kampf forderte.
Nur Juna wusste, dass sie sich mit einem Handgriff überflüssiger Kleidungsstücke entledigen konnte und damit genügend Bewegungsfreiheit besaß, um sich notfalls auch mit ihrem Schwert zu verteidigen.
Schließlich nahm sie eine Kette aus ihrer
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