Fluegelschlag
trotzdem hinein, allerdings wohlüberlegt.
»Hat denn niemand den Attentäter gesehen?« Ihre Frage riss Arian aus seinen ganz eigenen Überlegungen, und sie wusste, dass er lieber dort draußen nach dem Schützen gesucht hätte, als hier bei ihr Händchen zu halten.
»Offenbar nicht. Aber Santandér will sich darum kümmern.«
Plötzlich klopfte es an die Scheibe. Juna sprang vor Schreck beinahe in Arians Arme. Dann sah sie, wer auf der Terrasse stand. »O nein! Lucian.« Ihr persönlicher Dämon. Elegant gekleidet wie immer, trug er heute einen modischen Kurzmantel - natürlich ebenfalls in Schwarz.
Sie öffnete ihm. »Komm herein, draußen wird scharf geschossen.«
»Dachte ich es mir doch, dass ich Blut gerochen habe. Bist du okay?« Die Frage klang so ungewohnt aus seinem
Mund, dass Juna im ersten Augenblick nichts zu sagen wusste. Er wirkt besorgt , dachte sie verwundert.
Sie hatten sich seit seinem Verführungsversuch nicht mehr gesehen, und obwohl Juna ihm seine List längst noch nicht verziehen hatte, war sie inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass auch sie eine gehörige Portion Schuld an der Situation getragen hatte. Schließlich war er kein Mensch, von dem man verlangen konnte, dass er seine Triebe unter Kontrolle behielt. Er war ein Dämon, ein sehr mächtiger und gefürchteter obendrein. Was hatte sie erwartet? Eine gute Tat etwa, oder Edelmut?
Arian war augenscheinlich ebenso wenig über die Sache hinweggekommen, denn er hatte die Flügel leicht geöffnet und wirkte außerordentlich feindselig.
Die Atmosphäre konnte man ohne zu zögern als angespannt bezeichnen, befand Juna und bemühte sich um einen neutralen Ton: »Ich bin ein bisschen überrascht, dich hier zu sehen.« Während sie sprach, bewegte sie sich so unauffällig wie möglich durch den Raum, bis sie zwischen den beiden Engeln stand.
Lucian musterte sie wohlwollend, bis Arian ein Geräusch von sich gab, das verdächtig nach dem Knurren eines Alphatiers klang.
»Entspann dich!« Lucian griff in seine Manteltasche und zog einen Brief hervor, den er Arian hinhielt. »Nimm schon. Der ist von Vati .«
Juna hielt die Luft an, und auch Arian schien eine Spur blasser geworden zu sein.
»Was will er nach all der Zeit von mir?«
»Frag mich nicht.« Lucian sah auf die Uhr. »Ich hole euch um neun Uhr dreiunddreißig hier ab.«
»Was ist das denn für eine Zeitangabe?« Juna sah Lucian unbeabsichtigt an und erkannte das Feuer in seinen Augen. Ihm schien seine Rolle als Postbote nicht zu behagen, oder war es etwas anderes, das sein Blut erhitzte?
Äußerlich war ihm natürlich nichts anzumerken. »42«, sagte er lapidar.
»Sehr witzig.«
Er kam jetzt ganz nahe. »Zieh dir etwas Nettes an. Dein Mann kann jede Unterstützung gebrauchen, und ich würde dich zu gern noch einmal in diesem Feenkleid sehen.« Er hauchte ihr einen Kuss auf den Hals und war verschwunden, ehe Arian einschreiten konnte.
Sei kein Spielverderber!
Sein Lachen hallte noch in ihren Ohren, als sie blitzschnell nach Arians Arm griff, um ihn daran zu hindern, dem unverschämten Dämon zu folgen.
»Bleib. Er will dich doch nur provozieren.« Schnell verbarg sie ihre zitternden Hände.
Arian riss den Umschlag auf und überflog die Zeilen. »Nicht!« Als sie danach greifen wollte, zog er das Papier schnell weg. »Es ist wirklich von ihm!«
»Du meinst, wir müssen tatsächlich …«
Arian schüttelte den Kopf. »Ich gehe allein, das kann er nicht von dir verlangen.«
»Und wenn es eine Falle ist? Jeder würde annehmen, dass du mich aus diesen Familienangelegenheiten heraushalten wolltest. Was ist, wenn er uns nur trennen will? Du sitzt gemütlich am Höllenfeuer, und hier ist der Teufel los?«
»Juna, das ist nicht witzig.«
»Wahrscheinlich hast du Recht. Aber mein kleines Menschenhirn steht gerade kurz vor dem Plattencrash. Ich bitte
um Nachsicht, dass ich mit einer Einladung in das Allerheiligste des Leibhaftigen nicht so souverän umgehe wie du.«
Arian warf den Brief in den Kamin und ließ ihn mit einer einzigen Handbewegung in Flammen aufgehen. »Es geht schon los!«
»Was meinst du?«
»Sein größtes Vergnügen ist es, Zwietracht und Misstrauen zu säen.«
Juna stemmte die Hände in die Hüften. »Das kann er haben! Dein Daddy wird sein blaues Wunder erleben. Uhrenvergleich.«
Die einzige Uhr in der Nähe hing in der Küche und war funkgesteuert.
»Noch zwei Stunden und dreiundzwanzig Minuten. Let’s go!« Juna lief ins Schlafzimmer, und bevor
Weitere Kostenlose Bücher