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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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unglücklichen Gesichtsausdruck dastehen sah, musste sie lachen. »Nicht so schlimm! Das Ding gibt es für ein paar Pfund in jedem Supermarkt. Wir haben noch andere.« Dann drückte sie ihm Kehrbesen und -schaufel in die Hand und lief zurück, um eine Frau mit Korb einzulassen, aus dem es laut miaute. Die kranke Katze war schnell behandelt. Ihr folgte noch ein Kanarienvogel, der sich einen Nähfaden ums Bein gewickelt hatte, und es dauerte eine ganze Weile, bis der kleine Kerl befreit war.
    So ging es den ganzen Nachmittag, und Juna begann sich zu fragen, ob an diesem Sonntag alle Tiere Glasgows krank geworden waren.
     
    Währenddessen nutzte Arian die Zeit, um neue Kräfte zu sammeln. Es dauerte nicht lange, bis er die Quelle tief in sich selbst wiederfand. Behutsam öffnete er sich dem Licht, und schließlich floss die kosmische Energie ungehindert durch seinen Körper. Die Erleichterung trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Arian wurde klar, wie sehr er gefürchtet hatte, durch die Verbannung aus Elysium auch den Zugang zu den Kräften des Universums verloren zu haben. Keiner der ihm bekannten Engel schien genau zu wissen, welche Veränderung mit den gefallenen Engeln, seien sie nun in Gehenna oder auf der Erde, vor sich ging. Man hätte die Verstoßenen selbst fragen müssen, und niemand schien sich jemals diese Mühe gemacht zu haben. Als der letzte Patient des Tages fröhlich bellend das Haus verließ, fühlte er sich erfrischt und fast wie neugeboren.
    Kurz darauf kam Juna zu ihm. Sie hielt sich nicht lange mit Diplomatie auf, sondern stellte die Fragen, die ihr
bereits seit gestern Abend auf der Seele brannten. »Warum bist du so in meinem Schlafzimmer gewesen?« Sie machte eine vage Handbewegung, um seinen gewissermaßen paradiesischen Zustand, womit der Mangel an Kleidung, nicht sein Aussehen gemeint war, anzudeuten. »Und was hast du gesucht?«
    Arian hatte keine Ahnung, warum er ausgerechnet bei ihr gelandet war. Möglicherweise hatte Nephthys ihn zu ihr gesandt, damit er dort ihrem Bruder begegnete. Doch das konnte er natürlich nicht sagen. Sie hätte ihn für verrückt erklärt und dieses Mal endgültig hinausgeworfen. Es lag ihm jedoch viel daran, ihr Vertrauen zu gewinnen. »Ich wollte dich nicht bestehlen, das musst du mir glauben.«
    Sie runzelte die Stirn. »Merkwürdigerweise tue ich das. Aber ein bisschen mehr musst du mir schon erklären.«
    Damit hatte er gerechnet, und Arian versuchte sich an einer Erklärung, die nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt war. Engel durften nicht lügen. Diente die Beugung der allgemein anerkannten Realität, auch Wahrheit genannt, jedoch dem Erhalt des kosmischen Gleichgewichts, dann war sie zulässig. Zumindest hatte er bisher nach diesem Prinzip gehandelt, ohne dafür bestraft zu werden. Solche Dinge wurden nicht diskutiert. Hier lag ganz klar eine Ausnahmesituation vor, entschied er. »Ich kann mich nicht richtig erinnern.«
    Juna reagierte erwartungsgemäß: Sie kreuzte die Arme vor der Brust und sah ihn streng an.
    Also legte er die Stirn in Falten und sprach stockend weiter: »Da war ein Streit. Jemand hatte eine Waffe.« Sie sah ihn erwartungsvoll an. Wie die Geschichte weitergegangen war, würde er ganz bestimmt nicht erzählen - jedenfalls
keinem Menschen, der ihm sowieso nicht geglaubt hätte. »Und als ich wieder zu mir kam, hast du mir den Besen unter die Nase gehalten, bevor ich wusste, was geschehen war.«
     
    Juna war mit dieser Antwort nicht zufrieden, aber sie wusste, dass Opfer von Gewalt manchmal Schwierigkeiten hatten, sich an die auslösenden Ereignisse zu erinnern. Es hatte sogar schon Fälle gegeben, in denen Verletzte nach einem Verkehrsunfall zur nächsten Bushaltestelle gegangen waren, um ihre Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzusetzen. Also bemühte sie sich, ihre Neugier im Zaum zu halten und stattdessen Trost zu spenden. »Das ist der Schock - eine schwere Verletzung kann eine vorübergehende Amnesie auslösen. Du wirst dich später bestimmt wieder erinnern.«
     
    Arian verzichtete darauf, ihr zu erklären, dass er seine Begegnung mit dem brennenden Michaelisschwert und den darauf folgenden Sturz herzlich gern für immer aus seinem Bewusstsein gestrichen hätte. Glücklicherweise schien sie sich für ihre Amnesie-Theorie zu erwärmen. Unerklärliches zu verdrängen, war eine zuweilen sehr nützliche Eigenschaft der Menschen. Ob das Vergessen auch funktionieren würde, wenn ihr Berufsethos ins Spiel kam, daran

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