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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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sicher. Die Eingangstür ließ sich ohne weiteres öffnen. Vorsichtig trat er in den Hausflur. Mehr noch als die leisen Geräusche verriet ihm seine Intuition, dass sich Juna allein in der Küche aufhielt. Mit dem Rücken zur Tür stand sie dort, vor sich ein großes Messer, mit dem sie offenbar kurz zuvor Gemüse geschnitten hatte. Die Hände lagen bewegungslos auf der Tischplatte. Ihr Haar hing als langer Zopf den schmalen Rücken hinab, den sie sehr gerade hielt. Obwohl die Schultern ihre Anspannung verrieten, vermittelte die gesamte Erscheinung das Bild ruhiger Konzentration und hatte doch gleichzeitig etwas anrührend
Verlorenes. Vermutlich lag es daran, dass sie den Kopf leicht schräg hielt, während sie aus dem Fenster blickte und einen kleinen Vogel beobachtete, der ein Bad in einer Wasserschale nahm. Arian räusperte sich.
    Ohne den Kopf zu wenden, sagte sie: »Du bist zurück.«
    »Ja, ich …« Er wusste nicht weiter. Was hätte er auch sagen sollen? Dass sie ihm jede Sekunde, die er von ihr getrennt war, gefehlt hatte? Dies zuzugeben - wenn auch nur vor sich selbst -, dazu war er noch nicht bereit. Dass er darauf hoffte, sehr bald einen Auftrag zu erhalten? Sie hätte es nicht verstanden, denn dieser Auftrag würde vermutlich beinhalten, ein paar Dämonen zu töten. Und dass er, bliebe eine Nachricht von Nephthys dieses Mal aus, nicht wusste, wie es für ihn weitergehen würde? Diese Sorge würde er bestimmt niemandem anvertrauen.
    »Es tut mir leid!«
    »Weil du mir geholfen hast?«
    Jetzt drehte sie sich um und sah ihn an. »Ich hätte wissen müssen, dass John mich bestehlen wollte. Ich habe dich zu Unrecht beschuldigt.« Mit ihren hochgezogenen Schultern wirkte sie so erschöpft, als wäre ihr Bruder nicht die einzige Sorge, die auf ihr lastete. Finn, der offenbar ebenso gern bei Juna lebte wie bei seiner eigentlichen Besitzerin Iris, erhob sich von seinem Liegeplatz und drängte sich dicht an sie. Dabei ließ er Arian nicht für eine Sekunde aus den Augen, als habe er noch nicht entschieden, ob er es mit Freund oder Feind zu tun hatte.
    Arian mochte Gefühle besitzen, doch sie zu zeigen, hatte er noch nicht gelernt. Dennoch versuchte er sich in einer unbekannten Disziplin. »Du hast vollkommen normal reagiert. Gestern hast du mich in deinem Schlafzimmer vorgefunden,
die Türen zum Kleiderschrank standen weit offen, und heute stehe ich mit deinem Ersparten in der Hand an der gleichen Stelle. Was hättest du anderes denken sollen? Schließlich ist John dein Bruder.«
    »Eben. Und deshalb hätte ich gleich wissen müssen, wer das Geld genommen hat.« Sie klang resigniert.
    Arian wollte schon einen Schritt auf sie zugehen, ungelenk, weil er nicht wusste, wie man tröstete - da klärte sich ihr Blick, und ein unbeschreiblich warmes Lächeln brachte ihr zartes Gesicht zum Leuchten. »Sosehr ich den Anblick eines leicht bekleideten Mannes in meiner Küche auch genieße, finde ich doch, es wird Zeit, dass du dir etwas Vernünftiges anziehst.« Jetzt lachte sie wirklich. »Ich habe heute Notfallsprechstunde, und wenn es auch meinen Patienten nichts ausmachen dürfte, könnten ihre Menschen möglicherweise auf seltsame Gedanken kommen, wenn sie dich so sehen.« Sie ging zur Treppe und drehte sich noch einmal um. »Komm!«
    Es war besser, wenn er Abstand hielt, denn seine Gedanken waren alles andere als rein, während er ihr langsam die Treppe hinauf folgte.
    Oben angekommen, sah sie sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass er noch da war. Sie wies auf eine Tür, die er bisher nicht geöffnet hatte. »Alles zum Frischmachen findest du im Bad. Ich suche dir inzwischen etwas zum Anziehen heraus.« Nach einem letzten prüfenden Blick sagte sie eher zu sich selbst: »Irgendetwas Passendes wird sich hoffentlich finden, die Geschäfte machen erst morgen wieder auf.«

3
    M it einem Tuch wischte Arian über den beschlagenen Badezimmerspiegel und sah hinein. Seine linke Schulter schien äußerlich verheilt. Mit zusammengebissenen Zähnen bewegte er den Arm. Erst vor und zurück, dann langsam kreisend. Er ließ sich besser bewegen als noch einige Stunden zuvor, und zum Glück waren auch Hand und Finger voll funktionsfähig. Arian fühlte sich noch etwas steif, aber das würde sich mit der Zeit geben. Dass das lodernde Feuer erlöschen würde, das sich in der Schulter eingenistet zu haben schien, wagte er nicht zu hoffen. Jede Bewegung war ein Echo des ursprünglichen Schmerzes, und dieses Andenken an seine

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