Fluegelschlag
Handrücken, er schien die Behandlung zu genießen.
»Ist er …« Sein Frauchen ging wieder zu ihrem Flüsterton über. »Ist er Engländer?« Unruhig sah sie zu der zweiten Tür des Behandlungszimmers, die angelehnt war und direkt in die Wohnküche der MacDonnells führte. Sie mochte, wie viele Schotten, die Bewohner aus den südlichen Landesteilen nicht besonders.
»Alles in Ordnung mit ihm.« Juna tätschelte Rosies runden Bauch und setzte ihn auf den Boden. »Eine Tasse Tee?« Früher oder später würde sie die Neugier ihrer Nachbarin ohnehin befriedigen müssen, und Arian schien sich seit ihrer ersten Begegnung erstaunlich gut erholt zu haben. Wer so dreist schwindelte, dem geschah es nur recht, Mrs Stewarts geschickter Fragetechnik ausgesetzt zu werden. Niemand in der Gegend hatte Geheimnisse, von denen Emily Stewart nicht wenigstens wusste, dass es sie gab. Doch wenn es Juna gelang, das Gespräch ein bisschen zu lenken, würde sie selbst die eine oder andere Information erhalten. Sie folgte der Nachbarin also in die Küche und stellte erstaunt fest, dass bereits Wasser in dem elektrischen Kessel brodelte. Hatte Arian sie belauscht?
Der Tisch war schnell gedeckt. In einer Hand hielt Juna einen Teller mit kleinen Kuchen, von denen sie immer
einige für Mrs Stewarts Besuche im Küchenschrank aufbewahrte, in der anderen die Teekanne. Eben angelte sie mit dem Fuß nach einem Stuhlbein, um sich setzen zu können, da stand Arian schon bereit, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Sie setzte sich. »Danke.« Bisher hatten sich nur Kellner in italienischen Restaurants ihr gegenüber so aufmerksam gezeigt.
Mrs Stewart gab ein Glucksen von sich, wobei sie ein bisschen wie eine Henne wirkte, die ihre Kükenschar beobachtete. Juna war sich nicht sicher, ob diese wohlwollenden Laute den Törtchen oder Arians Höflichkeiten galten, der zwei kleine Kuchen auf einen Teller legte und ihn der alten Dame reichte.
»Aus London kommen Sie also? Dann sind Sie sicher ein Freund von John?« Das Verhör war eröffnet.
»Wenn Sie Junas Bruder meinen, ihm bin ich heute zum ersten Mal begegnet.«
Mrs Stewart schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein, denn sie nickte. Juna war froh, dass Arian nicht erwähnte, unter welchen Umständen er ihren Bruder angetroffen hatte. Die Nachbarin würde einen solchen Zwischenfall ganz sicher bei der erstbesten Gelegenheit ihrem Großvater erzählen, und der hätte sich nur wieder aufgeregt. Es war ja nichts passiert, also konnte sie Johns peinlichen Auftritt für sich behalten.
»Und was führt Sie nach Glasgow?« Mrs Stewart biss in ihr zweites Törtchen, und Juna trank einen Schluck Tee, während sie sich leicht vorlehnte. Diese Antwort interessierte sie mindestens ebenso sehr.
»Ich bin beruflich in der Stadt.«
»Aha, Sie haben also einen Job? Das ist gut. Sehr gut.«
Arian war amüsiert. Offenbar vermutete die Frau, er sei Junas neuer Freund, und wollte sich über seine Verhältnisse informieren. Es freute ihn, dass es im Leben seiner unfreiwilligen Gastgeberin ganz offensichtlich auch nettere Menschen gab als ihren diebischen Bruder. Da ihm nicht entgangen war, dass Juna sehr genau zuhörte, bemühte er sich, mit seinen Antworten möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben: »O ja, es ist eine feste Anstellung.« Das war nicht übertrieben. Nephthys mochte ihn degradiert haben, doch so lange er nichts Gegenteiliges von ihr hörte, blieb er weiterhin seinen Aufgaben als Vigilie verpflichtet. Man konnte in diesem Zusammenhang getrost von einer Lebensstellung reden.
»Aha, und was tun Sie so … beruflich?« Die Befragung war also noch nicht beendet.
Arian wandte sich wieder Mrs Stewart zu. »Ich bin in der Sicherheitsbranche tätig.«
Von Juna kam ein erstickter Laut. Sie stand auf und stellte die leeren Teller zusammen. »Ich glaube, wir haben unseren Gast genug gequält.«
Die alte Dame sah auf ihre kleine goldene Armbanduhr. »Du lieber Himmel, wie die Zeit vergeht!« Mühsam erhob sie sich. »Komm, Rosie. Es ist Zeit für deinen Spaziergang.« Der Hund schien der gleichen Meinung zu sein, denn er lief freudig wedelnd voraus.
Als Juna ihnen die Haustür aufhielt, tätschelte Mrs Stewart ihren Arm: »Pass gut auf ihn auf. Dieser Mann ist ein Engel!«
In der Küche klirrte Porzellan.
»Gewiss, das ist er.« Juna schloss die Tür und ging zurück, um nach dem Grund des Lärms zu sehen. Die Scherben der
Teekanne waren bis in den Flur gesprungen, und als sie Arian mit einem
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