Fluegelschlag
als gehörte er ebenso wie der Rest der Einrichtung bereits seit vielen Jahrzehnten in dieses Haus. Dem Küchentisch sah man die Jahre ebenfalls an, obwohl er erst kürzlich mit Sand gescheuert worden sein musste. Die Luft war schwer vom Duft der getrockneten Kräuter, die unter der Decke hingen, und Juna fühlte sich sofort wohl. Jedes Detail, jeder Krug, die Vase mit frischen Zweigen auf dem Tisch - alles wies auf die große Liebe der Bewohner zum Detail hin. Das Haus hatte eine rundherum positive Atmosphäre, als lebten hier die glücklichsten Geschöpfe dieser Erde. Was war also geschehen, das die Hausherrin so traurig gemacht hatte?
Arian räusperte sich schließlich und stellte Juna vor.
Die Frau trocknete ihre Hand und reichte sie Juna. »Ich bin Margrete, Maggie für meine Freunde.« Sie lächelte Arian zu, und es war nicht schwer, sich vorzustellen, wie schön sie gewesen wäre, hätten ihre Augen nicht verweint und rot ausgesehen.
Als jüngere Frau hatte Maggie sicher viele Blicke auf sich gezogen. Sie servierte den Tee und setzte sich.
»Bist du wegen Batarjal gekommen?«
»Ja. Ist er nicht da?«
Die Hoffnung, die in ihrer Stimme mitgeklungen hatte, war vollkommen verschwunden, als sie kaum hörbar antwortete: »Du weißt es also noch gar nicht? Er ist fort.«
Arian wirkte alarmiert. »Wie meinst du das? Batarjal würde niemals einfach so verschwinden!«
Maggie legte den Kopf auf die Arme, und ihr schmaler Körper erbebte, so sehr weinte sie.
Juna warf Arian einen ärgerlichen Blick zu und eilte zu ihr. »Seit wann ist er denn nicht mehr da?«
Wenn es nur ein paar Tage waren, dann ließ sich das Verschwinden des Engels vielleicht ganz einfach erklären. Doch ihre Hoffnungen wurden zerstört, als Maggie sich aufsetzte und leise sagte: »Seit drei Wochen!«
Nun mischte sich Arian ein. »Was genau ist passiert?«
»Er hat einen Anruf bekommen und schien ziemlich aufgeregt. Aber er wollte mir nicht sagen, mit wem er gesprochen hatte. Am Abend sagte er dann, er würde jemanden im Cross Keys treffen. Das ist ein Pub in Kippen. Batarjal hat sich dem Ort immer sehr verbunden gefühlt.« Sie verstummte.
Juna brach das Schweigen als Erste. »Sagt Ihnen Refugees from Heaven etwas?«
Erstaunt sah Maggie auf. »Entschuldigt, ich …« Sie wischte sich eine Träne fort. »Was soll das sein?«
Juna erklärte mit wenigen Worten, dass es sich um eine Gruppe von Angehörigen gefallener Engel handelte.
Maggie überlegte. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie schließlich, »aber Batarjal hat kürzlich von einer Gruppierung gesprochen, von der große Gefahr ausgeht. Könnte es sich dabei um diese Leute handeln?«
Arians grimmiger Blick war Antwort genug.
Maggie stand wortlos auf und ging zum Küchenbuffet, aus dem sie etwas Weißes herausnahm. Nachdem sie sich umgedreht hatte, lag eine gefaltete Serviette in ihrer Hand, deren Ecken sie nun behutsam auseinanderschlug, bis drei lange graue Federn sichtbar wurden. »Als er am nächsten Morgen immer noch nicht zurück war, habe ich zuerst im Pub angerufen. Aber dort ist er angeblich nicht gewesen. Ich habe ihn überall gesucht. Diese drei Federn habe ich schließlich entdeckt. Sie steckten am Zaun neben einer kleinen Brücke, etwa zwei Meilen hinter der Abzweigung zur Craigend Farm. Ich wusste sofort, dass es seine waren.« Sie begann erneut zu weinen, und ihre Hände zitterten.
»Darf ich?« Arian stand plötzlich dicht neben der Unglücklichen.
Maggie zögerte erst, doch dann streckte sie ihm die Hand entgegen, und er nahm die Feder wie jemand, der wusste, dass er etwas sehr Kostbares anvertraut bekam. Arian schloss kurz die Augen, und Juna schreckte zurück, als er kurz darauf seine Visionen mit ihr teilte.
Von Anfang an hatte Juna eine Verbindung zu ihm gespürt, die zuerst allerdings nur in ihrem Unterbewusstsein
bestanden hatte. Später hatte sie ihn manches Mal in ihren Gedanken zu Gast gehabt, was ihr bis heute nicht gefiel. Von Lucian hatte sie gelernt, sich vor Zugriffen anderer zu schützen, und diese Kunst ging Juna immer mehr in Fleisch und Blut über. Wenn sie sich darauf konzentrierte, war Arian der Einzige, der stets einen Hintereingang in ihre innere Welt fand … und möglicherweise auch Lucian. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte auch diesen Zugang fest verschlossen und die Bilder, die sie von Arian empfing, niemals gesehen.
»Micaal!« Der verhasste Name brannte wie Feuer in ihrer Kehle.
Der selbstgerechte Engel hatte Batarjal
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