Fluegelschlag
fragte: »Wo ist er?«
Hätte er Juna mit dieser Stimme jemals angesprochen, sie hätte ihm alles gestanden. Vielleicht war dieser Arian doch nicht ganz so begehrenswert, wenn sich seine inquisitorische Aufmerksamkeit auf einen selbst richtete. Mit Leichtigkeit bezwang Juna ihre Lust auf Neues und beschränkte sich vorerst auf die ihr zugedachte Rolle der bescheidenen Zuhörerin.
Aber Elsa war auch nicht aus Pudding gemacht. Sie begriff schnell, dass sie über eine Information verfügte, die für Arian offensichtlich interessant war. Nachdem sie nun nicht mehr unmittelbar um ihr Leben fürchtete, richtete sie sich auf und sagte: »Du wirst es rechtzeitig erfahren, verlass dich drauf.«
Wider Willen bewunderte Juna ihren Mut. Auch wenn Elsa klug genug war, ihm nicht in die Augen zu sehen, und stattdessen Juna hasserfüllt anfauchte, als habe sie den Verstand verloren.
Arian schien mit ihrer Reaktion gerechnet zu haben. »Wie wahr«, lautete sein einziger Kommentar. Dann zog er sein Handy hervor, und die Verbindung kam in erstaunlicher Geschwindigkeit zustande.
»Kannst du etwas für mich verwahren?«
Noch bevor er sein Handy wieder eingesteckt hatte, kochte die Luft wie über der mittäglichen Wüste, und es roch nach Schwefel.
Juna ahnte, wer kommen würde. Und doch mochte sie nicht ernsthaft glauben, dass Arian ausgerechnet diesen Engel angerufen hatte, bevor sie Lucian mit eigenen Augen erblickte.
Er sah schrecklich aus. Mächtige Hörner zierten seine Stirn, der athletische Körper glitzerte bis zur Brust blutrot. Von der Taille an abwärts jedoch war er mit einer grünlichen Echsenhaut überzogen, und Juna war froh um den struppigen Pelz, der seine Hüften und Oberschenkel verbarg, obwohl sie dieser Anblick an die Satyrn erinnerte, denen sie in Lucians Palast knapp entkommen war.
Trug er tatsächlich einen Schwanz mit schwarzer Quaste elegant über den linken Arm drapiert, während er den schmutzigen Dreizack mit der Rechten heftig auf den Boden stieß, so dass das Parkett unter ihren Füßen vibrierte?
»Ihr habt gerufen, Meister?«
Juna steckte sich ihren gekrümmten Zeigefinger in den Mund und biss fest zu. Eine Geste, die, wie sie hoffte, ebenso Entsetzen signalisierte wie sie vor einem Lachkrampf bewahrte.
In Arians Mundwinkel zuckte es. »Ähm … ja.« Er zeigte auf Elsa, die wie versteinert an der Wand lehnte und den Blick nicht von der bizarren Erscheinung lösen konnte. »Sie muss sicher gelagert werden.«
Lucian näherte sich ihr mit einem wiegenden Gang, den er vermutlich den gespaltenen Hufen zu verdanken hatte, die anstelle seiner Füße zu sehen waren. Mit einer geschickten Bewegung hatte er Elsa über die Schulter geworfen.
»Mach es nicht kaputt«, warnte Arian.
Lucian gab ein böses Zischen von sich. »Man sieht sich immer zweimal im Leben, meine Schöne.« Seine Stimme ließ Juna nun doch erschaudern. Meinte er das alles womöglich ernst? Doch dann sah sie den Humor in seinen Augen. Er zwinkerte ihr zu und verschwand in einer Wolke widerwärtigster Gerüche.
Es dauerte lange, bis Elsas Schrei endgültig in der Ferne verklungen war.
»Komm. Wir sollten lieber auch gehen. Himmel, wie das stinkt! Dein Freund hat einen übertriebenen Hang zu effektvollen Auftritten.«
Ohne lange zu zögern, fasste Arian Junas Hand, und der Raum um sie verschwand in einem feinen Nebel, bis sie nichts anderes mehr sah als sein Gesicht.
»Sosehr ich deine hübschen Fingernägel liebe, könntest du mich jetzt bitte loslassen?«
Juna starrte auf die blutigen Halbmonde, die ihre Hände an Arians muskulösen Oberarmen hinterlassen hatten. Sie blinzelte verwirrt, und beim nächsten Blick waren nur noch kleinen Narben zu sehen, die sicher auch bald verschwunden sein würden.
»Sag mir, dass ich das alles nur geträumt habe!«
»Ich wünschte, es wäre so. Nephthys dürfte meine Entdeckung interessieren, aber bevor ich mit ihr reden kann, muss ich wissen, warum sie mir den Auftrag erteilt hat, die Verstoßenen ausfindig zu machen. Du hast Recht, es wäre nicht richtig, die Engel einfach auszuliefern, ohne Nephthys’ Beweggründe zu kennen. Wenn ich mich nicht vollkommen täusche, dann hat diese saubere Elsa Kontakt zu den Gerechten. Intimen Kontakt, möchte ich sogar behaupten.«
Unfähig, diese Information zu verdauen, stellte Juna einfach die Frage, die sie am meisten beschäftigte: »Und Lucian?« Ihre Stimme zitterte, bevor sie in hysterisches Gelächter ausbrach. Ein Schluckauf gesellte sich
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