Fluegelschlag
es ihr stattdessen.
Mitten auf der Fahrbahn stand Gabriel, und sie wäre Arian nicht besonders böse gewesen, hätte er Nephthys’ zwielichtigen Abgesandten überfahren.
Arian hielt am Straßenrand und sprang aus dem Wagen. »Bitte bleib im Auto!« Seine Worte klangen zwar eher nach einem Befehl und früher hätten sie ganz sicher dafür gesorgt, dass Juna ausgestiegen wäre; doch erstens fehlte es ihr an Energie, sich über Gabriels arrogantes Gehabe zu ärgern, und zweitens tat Arian selten etwas ohne Grund. Wenn er es für besser hielt, dass sie im Auto blieb, dann würde sie erst einmal abwarten.
Die beiden Engel gingen einander auf der einsamen Landstraße entgegen wie zwei geflügelte Revolverhelden. Juna ahnte, dass jetzt kein Mensch das Bedürfnis verspürte, diesen Weg zu benutzen. Sie wusste nicht, wie die Engel es machten, aber es gelang ihnen immer wieder, ihre Begegnungen vor den Menschen geheim zu halten, auch wenn sie derart merkwürdig verliefen wie diese.
Arians Schwingen waren grau. Sie nahm an, dass er den anderen Engel weiter über seine Abstammung im Dunkeln lassen wollte, und fand es interessant, dass Nephthys, die dieses Geheimnis ja schon immer gekannt hatte, ihren Adjutanten Gabriel niemals eingeweiht hatte. Zumindest glaubte sie, dies aus seinem Verhalten lesen zu können, denn er schien nichts Besonderes an Arian zu bemerken, obwohl selbst Juna die neue Dunkelheit in ihm spürte.
Gabriels Flügel allerdings leuchteten in der niedrigen
Nachmittagssonne beinahe golden, und sie fragte sich, ob es wirklich eine optische Täuschung sein konnte. Vielleicht war er einfach zu sehr damit beschäftigt, seine eigenen Geheimnisse zu bewahren, um Arian zu durchschauen.
Das Gespräch zwischen den beiden würde jedenfalls interessant werden. Juna ließ die Fensterscheibe herunter, und tatsächlich hörte sie Gabriel fragen: »Hast du Namen für mich?« Er streckte die Hand aus, als wüsste er, dass sich die kopierten Daten in Arians Hosentasche befanden.
Arian verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum will Nephthys eine Liste der Verstoßenen von mir? Sie braucht doch nur ihre eigenen Aufzeichnungen durchzusehen - und die besitzt sie, das weiß ich. Ganz sicher klebt an ihrem Schwert das Blut von sehr vielen dieser armen Hunde.«
Gabriel gab ein Geräusch von sich, das wie das Schnauben eines wütenden Hengstes klang. »Seit wann kennst du so etwas wie Mitleid? Aber das ist auch egal - ein Wächter hat seine Befehle nicht zu hinterfragen!«
»Irrtum. Blinder Gehorsam war gestern.« Arian breitete seine Flügel ein wenig weiter aus. »Ich gehöre dank Nephthys nicht mehr zur Vigilie. Als Verstoßener verfüge ich über einen freien Willen. Das ist es doch, was uns in euren Augen wertlos macht.« Plötzlich waren seine Flügel schneeweiß, und Gabriel hob unwillkürlich einen Arm, um seine Augen vor der plötzlichen Rückkehr des Lichts zu schützen.
Arian lachte, aber es klang nicht fröhlich. »Ein feiner Trick, nicht wahr? Ich wette, du beherrschst ihn ebenfalls.« Als Gabriel nicht antwortete, spuckte er vor dessen Füßen aus. »Täuschungen scheinen zum neuen Stil in Elysium zu gehören. Das macht dich nicht besser als einen von Michaels Handlangern.«
Gabriel zückte sein Schwert. »Wie kannst du es wagen …!«
»Droh mir nicht!«
Seine Schwingen wechselten so schnell die Farbe, dass Juna erschrocken die Luft anhielt. Sie schienen das Licht um ihn herum zu absorbieren, obwohl er sie noch immer nicht vollständig geöffnet hatte.
Gabriel wich unwillkürlich zurück. »Teufel!«
»Ganz genau. Und nun geh zu Nephthys zurück und lass sie wissen, dass sie die Namen von mir erst bekommt, wenn ich weiß, warum sie so interessiert daran ist und was sie damit tun will.«
»Ich komme wieder!« Gabriel steckte sein Schwert zurück und erhob sich in die Luft.
»Das will ich hoffen, denn dies ist mein letzter Job für euch. Danach will ich dich nie wieder sehen.«
Juna war stolz auf ihren Kämpfer, und als er zurück ins Auto stieg, legte sie die Arme um seinen Nacken und küsste ihn. Er mochte ein gefallener Engel sein und seine Qualitäten als Autofahrer ließen zweifellos zu wünschen übrig, aber in ihren Augen hatte Arian mehr Anstand im kleinen Finger als einer der Gerechten in seiner ganzen herzlosen Pracht.
27
F ast hätten sie das Schild übersehen, doch Arian bremste gerade noch rechtzeitig und bog in die schmale Straße ein. Als er sah, dass Juna verkrampft auf ihrem Sitz
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