Fluegelschlag
lesen, und sie hatte auch nichts anderes erwartet. Hier galt es mehr mit Instinkt als mit Beobachtungsgabe zu agieren. Sie rief sich noch einmal alle Ermahnungen in Erinnerung, die Lucian ihr während des Trainings gegeben hatte. Es sei wichtig, den Gegner so lange wie möglich darüber im Dunkeln zu lassen, wie stark man wirklich war, hatte er ihr empfohlen.
Trotz aller Konzentration kam der Angriff des Gerechten so überraschend, dass sie erschrocken zurückwich. Siegessicher drängte er nach, bis ihn eine Feuerwand aufhielt, die aus dem Nichts zwischen ihnen emporloderte.
»Wieder mal in Schwierigkeiten, Kleines?« Lucian erschien neben ihr und schob sie hinter sich.
Daniel tauchte ebenfalls auf. »Wir müssen ihm den Rücken freihalten«, war alles, was er sagte.
Danach blieb ihnen gerade noch genügend Atem, um sich der Angreifer zu erwehren. Juna schlug sich tapfer, auch wenn sie aus mehreren Wunden blutete und ihre Kräfte merklich nachließen. Sie war eben doch nur eine Sterbliche.
Als sich eine Chance ergab, versuchte sie, sich allmählich aus dem Kampf zurückzuziehen. Ein fremder Engel, dessen Flügel so grau glänzten wie die Irische See an einem stürmischen Tag, deckte ihren Rückzug, und zwei Dämonen assistierten ihm dabei.
Sie hatte es fast geschafft, als ein Gerechter am Waldrand erschien, größer und strahlender als jeder Engel, den sie zuvor gesehen hatte.
Der Engel zögerte nicht und hielt sich nicht mit Reden auf. Er stieß sein flammendes Schwert in Junas Körper, bis es am anderen Ende hervortrat. Sachlich, fast so, als wollte er die Klinge damit von ihrem Blut reinigen, drehte er sie um neunzig Grad und zog sie wieder aus ihrer Brust. Juna fiel vor ihm auf die Knie. Das Splittern ihre Kniescheibe bemerkte sie nicht. Ihr Blick war auf sein überirdisch leuchtendes Gesicht geheftet, als suchte sie darin Antworten.
In der Ferne rief jemand ihren Namen. Sie versuchte zu antworten, doch statt der Worte quoll Blut aus ihrem Mund.
Arian, ich liebe dich! Mit diesem letzten Bekenntnis wich das Leben aus ihrem Körper, und eine Wolke feinsten Sternenstaubs tanzte zum Himmel.
Vielleicht hatte er etwas anderes erwartet, denn der Engel hielt kurz inne und sah Junas davonwehender Seele nach,
bis sie zwischen den Wolken verschwunden war. Danach setzte er sich wieder in Bewegung und durchquerte das Heer der Kämpfenden, als sei ihr Schlachtfeld für ihn nichts anderes als eine Sommerwiese vor der Mahd.
»Mörder!« Arians Stimme ließ alle erstarren. »Dafür wirst du mir büßen, Michael. Es ist noch nicht vorbei!«
Der Erzengel blieb stehen. Ganz langsam wandte er sich um und sah Arian über die große Entfernung hinweg an. »O doch, das ist es.« Er machte Micaal ein Zeichen, ihm zu folgen, und öffnete seine Schwingen, deren Farbe die Summe allen Lichts verkörperte.
Die Dämonen zischten und versuchten, ihre Augen vor dem himmlischen Leuchten zu schützen. Er beachtete sie nicht, stieg auf in die Höhe, immer weiter, bis er mit dem Blau des Himmels verschmolz.
Arian wollte ihm folgen, ihn für das Unfassbare stellen und zur Rechenschaft ziehen. Doch Lucian und Daniel eilten an seine Seite und hielten ihn mit aller Kraft zurück.
Arian schrie seinen Hass hinaus, bis der Boden unter ihnen zu beben begann.
Lucian befand, dass es Zeit war, der drohenden Zerstörung Einhalt zu gebieten. Er streckte die Hand aus und zwang Arian damit aufzusehen. »Du willst wissen, wohin sie gegangen ist?«
Arian war wie von Sinnen, doch Lucian wiederholte seine Frage, und schließlich hatte er die Aufmerksamkeit des Untröstlichen.
»Wo ist Juna?« Arian befreite sich aus dem Griff seiner Mitstreiter, sprang auf und hob sein Schwert, bis die Spitze auf Lucians Hals zeigte. »Sag es mir!«
Lucian nahm den tödlichen Stahl zwischen Zeigefinger
und Daumen und schob die Klinge beiseite. »Du würdest dein Leben für sie geben, habe ich Recht?«
»Wo. Ist. Juna?«
»Dort, wo wir alle einmal enden.«
Und ehe Arian begriff, was diese Worte bedeuteten, hatte Lucian ihm die Klinge seines Schwerts bis zum Heft in den Solarplexus gestoßen.
Mit einer Drehung zog er es langsam wieder heraus. »Gute Reise, mein Freund!«
Am Ende ihres Wegs wartete ein Engel auf Juna. Sosehr sie sich auch bemühte, die Farbe der Flügel konnte sie nicht erkennen. Eben strahlten sie weiß wie ihre Umgebung und das helle Gewand, das sie nun trug. Dann wieder glaubte sie, das typische Silbergrau der Verstoßenen zu sehen. Als
Weitere Kostenlose Bücher