Fluegelschlag
am Himmel über ihm schienen sich die Sterne mit ihrem Funkeln über ihn zu amüsieren. Arian ahnte, dass er trotz allem zu Juna zurückkehren und damit ihrer beider Untergang einleiten würde. Nicht nur gefallene Engel wurden von den Gerechten verfolgt - auch ihre menschlichen Partner befanden sich in großer Gefahr. Er wusste nicht, was an Juna so außergewöhnlich war - außer ihrem bezaubernden Äußeren natürlich und dem fröhlichen, mitfühlenden Wesen -, aber sein Instinkt warnte ihn, dass sie ein Geheimnis in sich trug, das sie in große Gefahr bringen würde, sollte es sich je offenbaren. Und seine Nähe würde früher oder später dazu führen, dass die Gerechten auch sie genauer unter die Lupe nahmen.
Umso wichtiger war es, dass er das Rätsel um die verschwundenen Schutzengel schnell löste. Je eher er Glasgow verließ, desto besser war es für sein Seelenheil und Junas Sicherheit.
Er zog die Schatulle hervor, und sie öffnete sich wie von Geisterhand. Ein einfacher, aber wirkungsvoller Zauber, der sicherstellte, dass sich die Botschaft nur demjenigen erschloss, dem sie zugedacht war. Nephthys, die einst eine mächtige Göttin gewesen war, wandte ihn immer an, aber auch einige Dämonen verstanden sich auf diese Art von Magie. Obenauf lag ein Umschlag. Als er ihn aufriss, fiel ihm anstelle eines Briefs eine lange, elegant geformte weiße Feder entgegen. Es gelang ihm gerade noch, sie aufzufangen, bevor der Wind sie davontrug. Er wusste sofort: Diese Feder stammte aus der Schwinge eines Schutzengels. Und der blutige Kiel war Beweis genug, dass er sich nicht freiwillig von ihr getrennt hatte.
Der restliche Inhalt hätte ihn kaum mehr überraschen können. Er zog eine Geldbörse heraus und sah hinein: Kreditkarten, etwas Bargeld. Wie bei jedem Auftrag. Dieses Mal allerdings blieb der Auftraggeber im Dunkeln, und Arian fragte sich, wer aus der Welt der Schatten und Dämonen ein Interesse daran haben könnte, ihn bei der Suche nach den verschwundenen Engeln zu unterstützen. Mit wem würde er einen Pakt eingehen, nähme er dessen Auftrag an? Das wertvolle Kästchen wog schwer in seiner Hand, noch schwerer aber war die Entscheidung, die er zu treffen hatte. Schließlich steckte er die Feder ein - sie würde ihm vielleicht noch mehr verraten, später. Das Portemonnaie aber legte er zurück. Sein Blick fiel auf den Eingang zum Glockenturm, und einen Wimpernschlag später ging er bereits
die ausgetretenen Stufen einer schmalen Wendeltreppe hinab. Keine Tür versperrte ihm den Weg, denn mit Einbrechern aus luftiger Höhe hatte gewiss niemand gerechnet. Im Mittelschiff angekommen, überlegte Arian kurz, ob sich in der Sakristei ein noch besseres Versteck finden könnte. Er blickte ganz nach oben, wo sich die eleganten Bögen der gotischen Säulen trafen. Plötzlich erinnerte er sich an einen ganz besonderen Platz und folgte den Stufen bis in die untere Kirche. Hier war das Gewölbe niedriger, wirkte geradezu gedrungen, wie um zu zeigen, dass eine große Last auf ihm ruhte. Zielstrebig schritt Arian an den kompakten Säulen vorbei und durchquerte den Raum bis zum östlichen Ende. Dabei sah er immer wieder nach oben. Ich wusste, dass es hier irgendwo war!
Mit einem zufriedenen Lächeln erhob er sich in die Luft, die Schwingen weit ausgebreitet. Obwohl es physikalisch eigentlich unmöglich schien, dass selbst mächtige Schwingen wie die seinen einen erwachsenen Mann tragen konnten, schwebte er langsam zur Decke hinauf, bis seine Fingerspitzen einen der sorgfältig modellierten Scheitelsteine berührten. Der Mechanismus, den einer der Kardinäle eingebaut hatte, als diese Kathedrale noch katholisch gewesen war, funktionierte immer noch. Der untere Teil des Scheitelelements war nur ein Aufsatz. Er schwang lautlos auf.
Arian legte die Schatulle in die Mulde dieses genialen Verstecks, und tatsächlich passte sie gerade so hinein. Erneut betätigte er den verborgenen Hebel, und der Aufsatz schwang zurück, bis nichts außer einer haarfeinen Linie verriet, welches Geheimnis sich in der Decke dieses Gewölbes verbarg.
Ebenso unbemerkt, wie er das Haus verlassen hatte, kehrte Arian zurück. Junas Tür war nur angelehnt, und er warf einen Blick in ihr Zimmer, um sich zu vergewissern, dass es ihr gutging. Jedenfalls war dies die Erklärung, die er für sich selbst fand. Der Stoff ihres Shirts hatte sich fest um die Taille gewickelt, wie Nachthemden es gern tun und damit zum Unbehagen eines unruhigen Schläfers
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