Fluegelschlag
sich besorgt, was Juna in seinen Augen lesen würde. Iris, nahm er sich vor, würde er nach ihrer Rückkehr genauer unter die
Lupe nehmen. Doch jetzt war sie erst einmal fort, und darüber war er keineswegs traurig.
Sie unterhielten sich lange. Juna hatte zwischendurch Kerzen angezündet und eine Flasche Wein geöffnet. Während Arian kaum an seinem Glas nippte, trank sie bereits das zweite Glas. Als sie von den Tieren erzählte, deren Heilung ihr Lebensinhalt war, strahlten ihre Augen im lichten Grün des Goldsteins. Zu Beginn hatte sie immer wieder ihr Haar zu einem Zopf gedreht, um es zu bändigen - ein aussichtsloses Unterfangen. Sehr wahrscheinlich bemerkte sie nicht einmal, was ihre Finger da taten. Finger, die aussahen, als gehörten sie einer eleganten Pianistin, die verführerische Melodien spielte. Doch sobald Juna von ihrer Arbeit sprach, lagen ihre Hände auf dem Tisch. Sie beugte sich leicht vor und sah Arian direkt an. Ihre Leidenschaft für die Kreatur berührte ihn, und er wünschte, selbst auch etwas von dieser Begeisterung in sich zu spüren. Früher hätte er Junas Emotionen einfach nur analysiert und in seiner inneren Datenbank abgelegt. So jedenfalls würde ein Neurologe sein annähernd viertausend Jahre altes Gehirn in Ermangelung eines besseren Vergleichs vermutlich nennen. Alles, was um ihn herum geschah, war nicht mehr als verwertbare Information. Gefühle, Stimmungen … sein Verstand analysierte jede Kleinigkeit und bewahrte die Eindrücke für den späteren Gebrauch auf.
»Ich langweile dich!«
Er schenkte ihr ein Lächeln, von dem er annahm, dass es sie beruhigen würde. »Wenn es nach mir ginge, könnten wir die ganze Nacht hier sitzen. Aber du siehst müde aus …«
Das unterdrückte Gähnen gab ihrer Antwort etwas Sinnliches. »Schon so spät!«, war ihr Kommentar nach einem
Blick auf die Uhr. Sie leerte ihr Glas und stand auf. »Das Sofa kennst du ja schon!« Kichernd wies sie auf die Küche. »Wenn du Hunger hast, bedien dich. Ansonsten wünsche ich dir eine gute Nacht!« Ihre Schritte wirkten unsicher, als sie an ihm vorbei zur Tür gehen wollte. Plötzlich drehte sie sich noch einmal um. »Danke!«
Arian stockte der Atem. Juna stand jetzt ganz nah vor ihm, und ihr süßer Duft weckte beunruhigende Fantasien. Seine Finger zitterten leicht, als er langsam die Hand nach ihr ausstreckte. Nur einmal!, flehte er lautlos. Nur einmal wollte er ihre zarte Haut berühren, die Linie ihrer Wangenknochen nachzeichnen und erfahren, ob ihre Lippen so weich waren, wie sie aussahen. Sie sah so verführerisch aus, wie sie mit weit geöffneten Augen zu ihm aufsah. Verträumt wie ein Reh, das vom Scheinwerferlicht fasziniert die Flucht vergisst. Arian wusste nicht, was er tat, als er den Kopf senkte, bereit, den schneller werdenden Atem von ihren leicht geöffneten Lippen zu trinken. Benommen von den zärtlichen Gefühlen und der Sehnsucht, die sein Herz überfluteten. Jetzt!
Und dann drehte sie den Kopf zur Seite. Sein Traum blieb unerfüllt. Eine winzige Berührung, kaum mehr als die Illusion eines flüchtigen Kusses und doch so elektrisierend, dass er impulsiv nach ihr greifen, sie nie mehr loslassen wollte.
»Gute Nacht!«
Das Reh war geflohen, bevor er verstand, was gerade geschehen war. Er folgte ihr nicht. Unfähig, sich zu bewegen, blickte er lange Zeit auf die geschlossene Tür zu ihrem Zimmer.
Endlich, als ihr regelmäßiger Atem ihn aus der Verantwortung
des Bewachers entließ, verließ er lautlos das Haus und zog die Schatulle aus ihrem Versteck hervor. Lautlos verschmolz er mit dem Licht des Mondes, öffnete seine Schwingen und flog in die Nacht hinaus.
Als er den Turm der Kathedrale erreicht hatte und sich auf den Steinen der Balustrade niederließ, war er noch immer erschüttert. Wie konnte es sein, dass Juna nach so kurzer Zeit Gefühle in ihm weckte, die er bisher noch nicht einmal gekannt hatte? Natürlich hatte sie ihm von Anfang an gut gefallen, und der gemeinsam verbrachte Abend war wunderbar gewesen. Ein Abend unter Freunden, etwas, das er bisher ebenfalls noch niemals hatte genießen dürfen. Warum aber gab er sich damit nicht zufrieden? Wieso musste er Juna auch mit einer Leidenschaft begehren, die sie offensichtlich verstört hatte? Sobald er die Augen schloss, glaubte er, noch immer das Flattern ihres furchtsamen Herzen zu hören und sogar ihre Furcht schmecken zu können. Nephthys, was habe ich getan, dass du mich so sehr strafst?
Doch wie immer schwieg sie, und
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