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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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beitragen. Juna lag auf der Seite. Die Hände wie zum Gebet gefaltet, die Knie leicht angezogen, wirkte sie ungemein verletzlich. Einem Impuls folgend, breitete er das herabgerutschte Betttuch wieder über ihr aus, als böte es Schutz gegen die Gefahren der Nacht. Gerade als er sich umdrehen wollte, setzte sie sich auf und schrie. Arian zuckte zurück, als sei er geschlagen worden. Was hatte er auch in ihrem Schlafzimmer verloren? Er wollte sich entschuldigen, eine Erklärung finden, bis er sah, dass ihre Augen geschlossen waren und die Augäpfel unruhig hinter ihren Lidern hin und her irrten.
    Was auch immer sie erschreckt hatte, es war in ihrem Kopf erschienen. Sie schien in einem furchtbaren Traum gefangen zu sein. Tränen quollen unter ihren Wimpern hervor, sie schluchzte immer wieder: »Nein!«
    Unsicher zögerte Arian einen Augenblick lang, bevor er sich zu ihr auf die Bettkante setzte. Erst wollte er nur ihre Hand halten, doch angesichts der Verzweiflung, die auf ihn zugerast kam wie eine Springflut, zog er Juna schließlich in die Arme. Hilflos strich er immer wieder über ihren Kopf, während er den zarten Körper umschlungen hielt, wie man es bei einem Kind tut, dessen untröstliches Weinen jedes Herz berührt.
    Allmählich beruhigte sie sich und lag schließlich ganz still an seiner Schulter. »Danke!«

    Arian war nicht sicher, ob er ihre Stimme tatsächlich laut gehört hatte. Da sie die Augen immer noch geschlossen hielt, legte er sie langsam zurück in ihre Kissen, breitete ein zweites Mal die Decke über ihr aus und ging leise hinaus. Für einen kurzen Augenblick hatte er geglaubt, ein alles verzehrendes Feuer in ihr zu spüren, wie kein Mensch es besitzen sollte. Eine Kraft, die ihm vertraut war und gleichzeitig so fremd, dass er sie nicht zuverlässig identifizieren konnte. Vielleicht, überlegte er, ist dies etwas, das nur Menschen innewohnt. Ihre ureigene Energiequelle, die sie vorantrieb und nicht ruhen ließ, bis ihre knapp bemessene Zeit auf Erden vorüber war. Wie sollte er das wissen? Noch nie war er einer Frau so nahe gekommen wie Juna. Als er sie noch einmal prüfend betrachtete, wies nichts darauf hin, dass er in ihrer Seele etwas anderes finden würde als warmherzige Anteilnahme und eine beunruhigende Portion Naivität.
     
    Am nächsten Tag nutzte Arian die Praxisstunden, um Cathure am George Square aufzusuchen. Den Weg hätte er sich sparen können, denn der Feenprinz konnte nicht mehr berichten als das, was die Schlagzeilen der Zeitungen längst verkündeten: Die Verbrechensrate war in den vergangenen vier Wochen um zwanzig Prozent angestiegen, und die Bürger forderten von ihren Politikern mehr Sicherheit und strengere Gesetze. Cathure stimmte ihm jedoch zu, dass man diese Entwicklung nicht ignorieren durfte. Er versprach, weitere Erkundigungen einzuziehen, und sie einigten sich darauf, ihre Zusammenarbeit vorerst geheim zu halten.
    Als Arian zurückkehrte, verabschiedete Juna gerade ihren letzten Patienten.

     
    Sie hätte gern gefragt, was er in ihrem Zimmer zu suchen gehabt hatte, überlegte es sich aber anders. Noch nie war sie den Fängen ihrer furchtbaren Träume so schnell entkommen wie letzte Nacht. Er hatte sie gehalten und ihre Tränen getrocknet, wie der liebevolle Freund, den sie sich immer gewünscht hatte. Und das Beste war, dass er heute Morgen kein Wort über das verloren hatte, was ihr rauer Hals ihr verriet: Sie hatte wahrscheinlich mal wieder das ganze Haus zusammengeschrien. Eine Woche nachdem sie hierhergezogen war, hatten besorgte Nachbarn sogar die Polizei gerufen. Die Erinnerung ließ sie unwillkürlich schaudern, doch Juna riss sich zusammen und verkündete: »Jetzt gehen wir einkaufen!«
     
    »Ich …« Arian wollte protestieren. Doch ihr erwartungsvolles Lächeln ließ ihn zustimmen. Erst als er hörte, wohin sie wollte, zögerte er. Cathure hatte den Ort erwähnt. In der Buchanan-Galerie war es auffällig häufig zu Zwischenfällen gekommen, und vor einigen Tagen hatte es dort nach einer Schießerei sogar mehrere Verletzte gegeben. Bisher war der Gebrauch von Schusswaffen in Glasgow unüblich, und daran, dass es jemals eine gewalttätige Auseinandersetzung dieses Ausmaßes mitten in der eleganten Einkaufszone der Stadt gegeben hätte, konnte sich niemand erinnern. Er sah an sich herab. »In Ordnung. Wenn du darauf bestehst, komme ich natürlich mit.«
     
    »Wir könnten auch bei der Polizei vorbeigehen. Vielleicht wirst du schon irgendwo als vermisst

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