Fluegelschlag
sein, denn sie hatte keine Ahnung, wo sich diese Luxuswohnung befand. Bei ihr im Eastend gab es so etwas jedenfalls nicht. »Ja, bitte. Bring mich zurück.« Juna war erleichtert, dass ihre Stimme nicht verriet, wie es in ihrem Inneren aussah.
Sie versuchte, ihr Kleid glattzustreichen. Ein aussichtsloses Unterfangen; dieser Seidenstoff nahm es übel, wenn
man die ganze Nacht darin schlief. Auf der Suche nach ihren Schuhen ging sie ins Schlafzimmer zurück. Sie standen ordentlich nebeneinander unter einem Stuhl. Juna konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, sie hierhergestellt zu haben. Aber sie war so müde gewesen, wahrscheinlich hatte sie im Halbschlaf einfach alles automatisch so gemacht, wie sie es immer vor dem Schlafen tat: die Kleidung ordentlich aufhängen, ein kurzer Besuch im Bad, abschminken, Zähne putzen … Ihr Haarband fand sie auf der Kommode. Es lag da wie ein grünes Tier, so fremd zwischen all dem lichten Weiß, wie auch sie sich fühlte.
Juna ging zum Fenster und blickte hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie drehte sich erst um, als ein kurzes »Komm!« sie aus ihren Gedanken riss. Arian stand vollständig bekleidet an der Tür, in seiner Hand den Schlüssel, den Gabriel gestern auf dem Tisch zurückgelassen hatte.
Froh darüber, dass ihr kein weiterer Flug bevorstand, folgte sie ihm in den Aufzug. Er drückte den untersten Knopf. Verlegen standen sie nebeneinander und blickten auch noch geradeaus, als es nichts mehr zu sehen gab, weil sich die Türen lautlos geschlossen hatten.
»Juna, ich …«, begann Arian, während sein Blick starr auf die roten Zahlen gerichtet war, die bei jedem Stockwerk aufleuchteten.
Sie unterbrach ihn eilig: »Du musst nichts sagen, ich verstehe schon. Es ist nett, dass du mich noch begleitest.«
Dann öffnete sich die Tür, und sie verstummten. Ein Mann mit Handy stieg ein und warf ihnen einen kritischen Blick zu, bevor er sich weiter seinem Telefonat widmete. Er trug einen tadellos sitzenden Anzug, und seine gesamte Aufmachung verriet, dass er zu den Besserverdienenden
gehörte. Offenbar war er es nicht gewohnt, in seinem Haus am frühen Morgen auf Leute wie sie zu treffen. Juna entdeckte eine zerzauste Person im Spiegel, die nur entfernte Ähnlichkeit mit der Juna hatte, die gestern Abend noch zuversichtlich in ihre Zukunft geblickt hatte, bevor die Seifenblase der Hoffnung geplatzt war. Dem Sommerkleid sah man deutlich an, dass sie darin geschlafen hatte, und ihre Haare hatten sich wie jeden Morgen mit einer Kopfkissenfrisur gegen sie verschworen. Manche Männer fanden das vielleicht sexy, der Fremde neben ihr im Aufzug gehörte ganz offensichtlich nicht dazu. Arians Aufmachung wirkte ebenfalls wenig vertrauenerweckend. Wann hatte er sich von einem sonnigen himmlischen Boten in diesen finsteren Krieger verwandelt? Er sah aus, als hätte Gabriel seine Garderobe zusammengestellt. Und das hatte der andere Engel womöglich sogar getan, ging ihr plötzlich auf. Zumindest indirekt, denn woher hätte Arian die Sachen haben sollen, wenn nicht aus einem Schrank in der Wohnung, die sie gerade verlassen hatten?
Zum ersten Mal nahm sie ihre Umgebung bewusst wahr, und ihr wurde klar, dass nicht nur das Penthouse, in dem sie übernachtet hatten, äußerst luxuriös war, sondern sogar der Lift vornehmer wirkte als der Salon ihrer anspruchsvollen Stiefmutter. Ein schönes Pärchen sind wir. Kein Wunder, dass der Mann so deutlich auf Abstand bedacht ist. Eine Dusche hätte uns sicher auch nicht geschadet . Sie kräuselte die Nase. Riecht es hier nach Rauch? Neue Flammen waren zum Glück nirgends zu sehen.
Verwundert registrierte sie, dass der Aufzug nicht im Erdgeschoss hielt, wie sie vermutet hatte, sondern gleich weiter in die Tiefgarage fuhr. Als sich die Türen endlich
öffneten, war die Erleichterung des Anzugmanns geradezu greifbar. Er steckte sein Handy ein und eilte davon. Erst dachte sie, es sei sein Wagen, dessen Rücklichter mit einem zwitschernden Geräusch aufleuchteten, aber Arian steuerte direkt darauf zu und öffnete ihr die Tür. »Woher wusstest du, dass hier ein Auto steht?«
Er hielt die Schlüssel hoch, während er das Fahrzeug umrundete, und sie glaubte so etwas wie »Es ist immer gleich« zu hören. Seine immer gleiche Routine entpuppte sich als eine außerordentlich komfortable Luxuslimousine. In einer ähnlichen hatte sie zuletzt gesessen, als sie London endgültig den Rücken gekehrt und der Fahrer ihres Vaters sie zum Flughafen gebracht
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