Fluegelschlag
hatte, betrachtete die letzten Spuren seines Lichts und fragte sich, ob er jemals zurückkommen würde. »Bastard!« Mit einem Seufzer wandte sie sich um und klopfte an Junas Zimmertür. Sie wollte mehr über Arian herausfinden, und was eignete sich besser dazu als ein Gespräch unter Frauen?
7
D as Geheimnis wäre bei ihm sicher gewesen, aber sie hatte sich ihm nie anvertraut. Als der Ältere war es seine Pflicht, sie zu beschützen, und das hatte er getan - solange es ihm möglich gewesen war. Der Nekromant studierte die Fotografie, auf der eine junge Frau abgebildet war, als erwarte er von ihr die Antworten, die er seit seiner Jugend suchte. Früher hatte sie es regelmäßig geschafft, ihn zu verunsichern. Erst hatte er geglaubt, sie mit zärtlichen Gesten von seinen Qualitäten überzeugen zu können, danach versuchte er es mit Provokation … später mit Ironie. Sogar in das unwirtliche Glasgow war er ihr zuliebe gezogen.
Na gut, hier übertrieb er vielleicht ein wenig. Sein Boss hatte ihn hierher versetzt und es seine letzte Chance genannt, nachdem er die Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen entdeckt hatte. Der langjährigen Freundschaft zu seinem Vater habe er diesen Großmut zu verdanken. So ein Unsinn. Politischer Einfluss ist alles, was der scheinheilige Kerl will. Und ein Gefallen wie dieser kostete.
Inzwischen war es ihm völlig egal, was sie dachte.
Er drehte ihr Bild um. Kaum lag es mit der Vorderseite nach unten auf der Kommode, fühlte er, wie sein Atem freier wurde. Vielleicht, weil ihr Blick nicht mehr auf ihm ruhte, vielleicht aber erleichterte ihn auch die Erkenntnis,
dass er eine Entscheidung getroffen hatte, die sein Leben verändern sollte.
Er nahm das Buch in die Hand und wog es darin, als ließe sich dessen Bedeutung am Gewicht festmachen. Ein ganzes Jahr hatte es gedauert, bis er gefunden hatte, was er suchte. Jedes verdammte Antiquariat im Land hatte er durchsucht, Kontakte zu den merkwürdigsten Leuten aufgenommen. Selbst ernannten Druiden, Hexen und tatsächlich magisch Begabten war er dabei begegnet, und schließlich war er sogar bereit gewesen, einem Tipp zu folgen, der ihn in die USA führen sollte.
Und dann hatte er diese unbezahlbare Sammlung dunkler Beschwörungen ausgerechnet bei Ebay entdeckt und für wenige Pfund ersteigert. Eine glückliche Fügung, denn just an diesem Tag waren zwei Vertreter seines Buchmachers bei ihm aufgetaucht und hatten ihm unmissverständlich klargemacht, dass ihr Boss Geld von ihm erwartete. Die Schläge, die der Preis für einen weiteren Aufschub gewesen waren, spürte er heute noch. Seine Familie half ihm längst nicht mehr. Der Großvater hatte ihn bei seinem letzten Besuch sogar vor die Tür gesetzt und gedroht, die Polizei einzuschalten, sollte er noch einmal auftauchen und um Geld bitten. Damit war es jetzt vorbei. Bald würde man ihn - den jeder unterschätzte - um Mildtätigkeiten bitten. Und er würde sich für alles revanchieren, was man ihm angetan hatte.
Doch, und hier kehrte sein Realitätssinn vorübergehend zurück, dafür musste zuerst einmal seine magische Anrufung gelingen. Immer wieder hatte er den alten Text durchgelesen, um sich die Reihenfolge der Handlungen und die Beschwörungsformeln genau einzuprägen. Trotzdem zitterten
jetzt seine Hände, als er die Tesco-Tüte mit dem Salz aufriss.
Während er dem komplizierten Ritual Schritt für Schritt folgte, wuchs jedoch allmählich sein Selbstvertrauen. Bisher ging alles glatt. Der Raum wurde trotz der mächtigen Kirchenkerzen, die er in allen vier Ecken aufgestellt hatte, erwartungsgemäß dunkler; kein Geräusch drang mehr von draußen herein.
Das Kratzen der Kreide auf dem Boden klang wie das Zischen von Schlangen, und die Atmosphäre veränderte sich, als senke sich ein Tuch, gewoben aus Finsternis und Versprechungen, über ihn.
Der Nekromant sprach eine weitere Formel, umrundete das magische Symbol aus Blut und Erde gegen den Uhrzeigersinn und entzündete Räucherwerk in Kupferschalen, die er - wie alles andere in diesem Raum - exakt nach den vier Elementen ausgerichtet hatte.
Er begann im Osten, beugte sich über die Schale und blies darüber, bis das Feuer hochloderte und der Geruch von Galbanum aufstieg. In das nächste Gefäß streute er einen Ring aus frischer Erde, damit die Flamme nicht entkommen konnte. Kaum war sie entzündet, stieg ihm der harzige Duft des Storaxbaums in die Nase. Seine Augen begannen zu tränen, so dass es ihm nicht schwerfiel, eine
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