Fluegelschlag
Dämon handeln musste. Genau genommen reichte er ihr gerade einmal bis zum Knie, an das er sich jetzt mit seinem weichen Pelz drückte.
»Finn! Hast du mich erschreckt!«
Der glühäugige Verfolger hechelte vernehmlich und trabte zu dem am Boden liegenden Bündel. Es folgten feuchte Schmatzgeräusche, dann erklang Johns harte Stimme: »Verdammt, halt mir das Vieh vom Leib!«
Juna beugte sich über ihren Bruder, ergriff seine Arme und schob ihn in eine Sitzposition. Dabei streiften ihre Finger etwas Glattes, Rundes.
»Du bist gefesselt!«
»Was du nicht sagst.«
Sie verabscheute seine schneidende Ironie. »Ich kann auch wieder gehen!«
»Das glaube ich kaum. Bei all deinen Talenten sollte man meinen, du hättest auch ein wenig Verstand mitbekommen. Denk nochmal nach!«
Juna richtete sich auf. Sie stieß mit dem Fuß gegen etwas, das scheppernd über den Boden rutschte und dabei zu leuchten begann. »Dein Handy.«
»Lass es liegen!«
Sie gehorchte und lehnte sich kurz an die alten Steine,
um etwas Solides zu spüren, etwas, das ihr half zu verstehen. Dann lauschte sie.
Nichts. Kein Laut war zu hören. Nicht das Rascheln einer Feldmaus auf der Suche nach Nahrung, kein Nachtvogel, nicht einmal der Wind. Und mit einem Mal begriff sie, dass genau dies die Quelle ihrer Furcht war.
Nirgends gab es absolute Stille, nicht einmal nachts in den Highlands. Immer war irgendetwas zu hören, und wenn es nur das eintönige Rauschen des Blutes in den überempfindlichen Ohren war. Sie hörte nichts und begriff endlich, dass Magie im Spiel sein musste. John hatte sie in eine Falle gelockt.
11
M öchtest du uns nicht vorstellen, Jonathon Arthur?« Eine Flamme schoss empor, und aus ihr trat ein Mann. Nicht irgendein Mann, das erkannte Juna sofort. Der Dämon aus der Lagerhalle stand vor ihr. Keine Flügel und nicht einmal eine besonders gefährliche Ausstrahlung, nur eine merkwürdige Drehung des Kopfes, gefolgt von einem lauten Knacken.
»Arthrose«, diagnostizierte sie, ohne nachzudenken, und es knackte erneut. »Was willst du von uns?« Iris, Hilfe! Ihr Schutzengel würde bestimmt merken, dass sie in Gefahr war, sie musste auf Zeit spielen.
Der Dämon kam näher, und während seine Höllenflamme die Szenerie in trügerisch weiches Licht tauchte, blieb eine Hälfte seines Gesichts im Schatten. Sie stand mit dem Rücken zur Mauer und beobachtete gleichsam unbeteiligt, wie er die Hand nach ihr ausstreckte und an ihr Kinn legte, um ihr Gesicht zu inspizieren.
»Schön und klug, das ist mein Mädchen. Lieber Freund, du hast nicht zu viel versprochen.«
»Ich habe nichts dergleichen gesagt.« John versuchte, sich aufzurichten, rutschte aber auf halber Höhe wieder zu Boden.
Juna glaubte ihm sofort. Komplimente über ihr Aussehen waren gewiss das Letzte, das ihm im Zusammenhang mit ihr einfallen würde.
Sie spürte den prüfenden Blick des Dämons wie eine unangenehme Berührung, die tiefer ging als nur unter die Haut. Jetzt war sie da, die Angst, und ihr Fluchtinstinkt meldete sich lautstark zu Wort. Juna zitterte unter der Anstrengung, nicht zurückzuzucken. Sie hatte den Dämon in Aktion erlebt. Er war ein wildes Tier, und sie tat gut daran, ihn nicht zu provozieren.
Er ließ sie los, offenbar war seine Überprüfung vorerst abgeschlossen. »Du weißt, wer ich bin?«
»Nein. Aber du scheinst darauf zu brennen, es mir gleich anzuvertrauen.«
»Frechheit wird dir nichts nützen. Denk noch einmal nach!«, verlangte er und klang ein bisschen, als sei er beleidigt.
Eitelkeit steht ganz oben auf der Liste der Todsünden. Wie passend , dachte Juna und spürte einen Funken Hoffnung. Er hatte eine erste Schwachstelle offenbart. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Nein, wirklich. Ich habe keine Ahnung.« Sie hoffte, nicht übertrieben zu wirken. Ihre schauspielerischen Talente waren bestenfalls mittelmäßig.
»Nun gut, ich will deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen.« Ehe sie zurückweichen konnte, hatte er seine Hand auf ihre Stirn gelegt, und sofort sah sie den ängstlichen, verletzten Schutzengel vor sich. Sie wusste, wenn sie sich jetzt umdrehte, würde er dort stehen. Wellen aus Hass und Bosheit gingen von ihm aus, und ihre Knie zitterten. Er hatte keine Eile, als wisse er genau, dass sie nicht fliehen würde.
»Dämon!« Juna riss sich los und spuckte das Wort voller Widerwillen aus, als ob bereits die Erwähnung einen unangenehmen Geschmack auslöste.
»Sehr gut.« Der
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