Flüstern in der Nacht
guter oder gesunder Zustand wäre.« Danach würde ihn nichts davon abhalten können, ihr einen seiner väterlichen Vorträge über das Leben zu halten; und die Tatsache, daß so ziemlich alles, was er sagte, vernünftig klang, würde ihr das Zuhören sicher nicht erleichtern.
Du sagst besser nichts, entschied sie sich. Mit Wally Topelis wirst du ohnehin nicht fertig.
Als sie wieder in ihrem Wagen saß, schnallte sie sich an, startete das schwere Ungetüm, schaltete das Radio an, saß dann eine Weile reglos hinter dem Steuer und starrte in den Verkehrsstrom auf dem La Cienega Boulevard. Heute hatte sie Geburtstag. Ihren neunundzwanzigsten Geburtstag. Und obwohl Hank Grant ihn in seiner Spalte im Hollywood-Reporter erwähnt hatte, schien sie der einzige Mensch auf der Welt zu sein, dem er etwas bedeutete. Nun, das war in Ordnung. Sie war eben ein Einzelgänger, immer gewesen. Hatte sie Wally denn nicht gesagt, daß sie sich in ihrer eigenen Gesellschaft sehr wohl fühlen würde?
Die Wagen brausten in endlosem Strom vorbei, mit Leuten, die irgendwohin fuhren, irgend etwas taten – gewöhnlich paarweise.
Sie wollte noch nicht nach Hause zurückkehren, aber sonst gab es auch kein Ziel für sie.
Das Haus war finster.
Im Schein der Quecksilberdampf-Straßenlampe wirkte der Rasen eher blau statt grün.
Hilary parkte den Wagen in der Garage und ging zur Eingangstür. Auf dem plattenbelegten Weg erzeugten ihre Absätze ein unnatürlich lautes tack-tack-tack.
Die Nacht war mild. Die Hitze der hinter dem Horizont versunkenen Sonne stieg noch immer von der Erde auf, und der kühlende Seewind, der zu allen Jahreszeiten hier im Becken wehte, hatte noch keine herbstliche Kühlung gebracht; später, vielleicht gegen Mitternacht, könnte man sicher einen Mantel vertragen. Grillen zirpten.
Sie öffnete die Haustür, knipste das Eingangslicht an, schloß und versperrte die Tür hinter sich. Dann schaltete sie auch die Wohnzimmerbeleuchtung an, ging gerade den Flur entlang, als sie hinter sich eine Bewegung ausmachte und sich blitzschnell umwandte. Ein Mann trat aus der Garderobenkammer im Eingangsraum und stieß einen Mantel vom Kleiderbügel, während er sich aus dem engen Raum herausschälte; er warf die Garderobentür laut knallend gegen die Wand. Der hochgewachsene Mann war etwa vierzig Jahre alt, trug dunkle Hosen und einen enganliegenden gelben Pullover – und Lederhandschuhe. Seine kräftigen harten Muskeln deuteten darauf hin, daß er schon jahrelang Gewichte hob; selbst seine Handgelenke, zumindest das, was man zwischen Pullover und Handschuhen erahnte, wirkten stark und sehnig. Drei Meter vor ihr blieb er stehen, grinste breit, nickte und leckte sich die schmalen Lippen.
Sie wußte nicht recht, wie sie auf sein unvermitteltes Auftauchen reagieren sollte. Es handelte sich nicht um einen gewöhnlichen Eindringling, keinen Wildfremden, keinen aufgeputschten Jungen oder irgendeinen heruntergekommenen Drogensüchtigen. Sie kannte ihn, obwohl er nicht aus der Gegend stammte; er war so ziemlich der letzte Mensch, den sie hier erwartet hätte. Wäre vielleicht der sanfte kleine Wally Topelis so aus der Garderobe gekommen, hätte sie das sicher noch mehr erschreckt. Sie fühlte sich weniger verängstigt als verunsichert. Vor drei Wochen hatte sie ihn kennengelernt, in der Weingegend Nordkaliforniens, bei Recherchen für ein Drehbuch, ein Projekt, das ihre Gedanken von Wallys Bemühungen um Die Stunde des Wolfes ablenken sollte und das sie zu jener Zeit fertigstellte. Dieser Eindringling war ein wichtiger, erfolgreicher Mann dort oben im Napa-Tal, doch das rechtfertigte noch lange nicht seinen Überfall auf ihr Haus, sein Warten in ihrer Garderobe. »Mr. Frye«, sagte sie unsicher.
»Hallo, Hilary.« Seine tiefe, etwas rauhe Stimme, die ihr damals, als sie sein Weingut bei St. Helena besucht und er ihr alle Räume und das Gelände gezeigt hatte, beruhigend und väterlich erschien, wirkte jetzt eher bedrohlich, ja bösartig. Sie räusperte sich nervös. »Was machen Sie hier?« »Ich wollte dich besuchen.« »Warum?«
»Ich mußte dich einfach wiedersehen.« »Weshalb?«
Er grinste noch immer, sein Blick ähnelte dem eines Raubtieres, sein Lächeln dem eines Wolfes, der seine Kiefer jeden Augenblick hungrig aufsperrt, um das in die Enge getriebene Kaninchen zu fressen.
»Wie sind Sie hereingekommen?« wollte sie wissen. »Hübsch.« »Was?« »So hübsch.« »Lassen Sie das.« »Eine wie dich hab' ich gesucht.«
Weitere Kostenlose Bücher