Flüstern in der Nacht
erkennen?«
Panische Angst hallte in ihrer Stimme mit. »Ich hab' Ihnen doch nichts getan. Ich versteh' das alles nicht, was Sie da sagen. O Jesus. O mein Gott. Mein Gott, was wollen Sie denn von mir?«
Bruno beugte sich über sie, sein Gesicht war jetzt ganz dicht über dem ihren. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen, und er flüsterte: »Du bist da drinnen, nicht wahr? Da drinnen bist du, ganz tief drinnen, und versteckst dich vor mir, nicht wahr? Nicht wahr, Mutter? Ich sehe dich, Mutter. Da drinnen sehe ich dich.«
Ein paar dicke Regentropfen klatschten an die Fensterscheiben von Joshua Rhineharts Büro. Draußen stöhnte der Nachtwind.
»Ich begreife immer noch nicht, warum Frye gerade mich ausgewählt hat«, meinte Hilary. »Als ich hier Recherchen für mein Drehbuch anstellte, benahm er sich ganz freundlich. Er hat alle meine Fragen über das Weingeschäft beantwortet. Zwei oder drei Stunden haben wir zusammen verbracht. Ich hatte nie das Gefühl, er könnte etwas anderes als ein ganz gewöhnlicher Geschäftsmann sein. Und dann taucht er wenige Wochen später mit einem Messer in meinem Haus auf. Nach diesem Brief zu urteilen, den Sie in dem Schließfach fanden, hält er mich für seine Mutter in einem neuen Körper. Warum gerade mich?«
Joshua rutschte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her. »Ich hab' Sie angesehen und mir gedacht ...« »Was haben Sie gedacht?«
»Daß er Sie vielleicht deshalb ausgewählt hat, weil ... nun, Sie sehen ein wenig wie Katherine aus.« »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, wir hätten hier noch eine Doppelgängerin«, mischte Tony sich ein. »Nein, das nicht«, erklärte Joshua. »Es handelt sich auch nur um eine schwache Ähnlichkeit.«
»Gut«, nickte Tony. »Ein zweiter Doppelgänger wär' mir jetzt auch zuviel gewesen.«
Joshua stand auf, ging zu Hilary hinüber, griff ihr unter das Kinn, hob ihren Kopf etwas an, drehte ihr Gesicht nach links und dann nach rechts. »Das Haar, die Augen, der dunkle Teint«, meinte er nachdenklich. »Ja, das alles wirkt recht ähnlich. Und dann gibt es noch andere Dinge in Ihren Gesichtszügen, die mich entfernt an Katherine erinnern, winzige Kleinigkeiten, so winzig, daß ich eigentlich gar nicht sagen kann, um was es sich handelt. Es besteht wirklich nur eine oberflächliche Ähnlichkeit. Und dann war sie keineswegs so attraktiv wie Sie.«
Als Joshua ihr Kinn losließ, stand Hilary auf und ging zum Schreibtisch des Anwalts hinüber. Sie starrte auf die ordentlich aufgereihten Gegenstände des Schreibtisches hinunter – Schreibunterlage, Brieföffner, Klammerapparat – und grübelte über das nach, was sie im Lauf der letzten Stunde erfahren hatte.
»Ist was?« fragte Tony.
Der Wind nahm alle seine Kräfte zusammen und ballte sie zu einer kurzen Böe. Wieder klatschten ein paar Regentropfen ans Fenster.
Sie drehte sich um und schaute die Männer an. »Ich will versuchen, die Lage in ein paar Sätzen zusammenzufassen. Mal sehen, ob ich das alles richtig verstanden habe.« »Ich glaube, keiner von uns hat das richtig verstanden«, meinte Joshua und kehrte zu seinem Sessel zurück. »Die ganze verdammte Geschichte erscheint viel zu verdreht, um eine gerade Linie reinbringen zu können.«
»Darauf will ich hinaus«, antwortete sie. »Ich denke, ich bin da noch auf eine weitere Wendung gekommen.« »Und die wäre?« fragte Tony.
»Soweit wir das feststellen können«, fing Hilary an, »kam Bruno kurz nach dem Tod seiner Mutter auf die Idee, sie wäre aus dem Grab zurückgekehrt. Fast fünf Jahre lang hat er regelmäßig von Latham Hawthorne Bücher über Untote erstanden. Fünf Jahre lang hat er in beständiger Angst vor Katherine gelebt. Als er schließlich mich zu Gesicht bekam, dämmerte ihm, ich wäre der neue Körper, den sie benutzte. Aber warum hat er so lange dafür gebraucht?«
»Jetzt weiß ich nicht, ob ich Ihnen folgen kann«, entgegnete Joshua.
»Warum brauchte er fünf Jahre, um sich auf jemanden zu fixieren? Fünf lange Jahre, um sich ein Ziel aus Fleisch und Blut für seine Ängste auszuwählen?«
Joshua zuckte die Achseln. »Er ist wahnsinnig. Wir können nicht erwarten, daß seine Überlegungen logisch und nachvollziehbar sind.«
Aber Tony hatte erfaßt, was hinter ihrer Frage steckte. Er rutschte auf der Couch nach vorn und runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst«, meinte er. »Mein Gott, ich bekomme gleich eine Gänsehaut.«
Joshuas Blick wanderte zwischen den beiden
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