Flüstern in der Nacht
»Nein.« »Freund?«
»Der wohnt nicht hier.« »Erwartest du ihn heute noch?« »Nein.«
»Lügst du mich an?« »Das ist die Wahrheit. Ich schwör' es.« Trotz ihrer gebräunten Hautfarbe war sie jetzt totenbleich. »Wenn du mich anlügst«, drohte er, »dann schneid' ich dir dein hübsches Gesicht in Stücke.«
Er hob das Messer und berührte sie mit der Spitze an der Wange. Sie schloß die Augen und fing zu zittern an. »Gibt es irgend jemanden, den du erwartest?« »Nein.«
»Wie heißt du?« »Sally.«
»Okay, Sally. Ich will dir ein paar Fragen stellen. Aber nicht hier und nicht so.«
Sie schlug die Augen auf. An ihren Augenlidern hingen Tränen. Eine rollte jetzt über die Wange. Sie schluckte. »Was wollen Sie?«
»Ich hab' da ein paar Fragen wegen Katherine.« Sie runzelte die Stirn. »Ich kenne keine Katherine.« »Du kennst sie als Hilary Thomas.«
Die Furchen auf ihrer Stirn vertieften sich. »Die Frau in Westwood?«
»Ihr habt heute ihr Haus saubergemacht.« »Aber ... ich kenne sie nicht. Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen.«
»Das werden wir ja sehen.«
»Ehrlich, das ist die Wahrheit. Ich weiß nichts über sie.« »Vielleicht weißt du mehr über sie, als du denkst.« »Nein, wirklich nicht.«
»Komm' schon«, ermunterte er sie und gab sich große Mühe, ein Lächeln in seine Gesichtszüge und einen warmen Klang in seine Stimme zu zwingen, »Gehen wir ins Schlafzimmer, dort haben wir's bequemer.«
Ihr Zittern verschlimmerte sich, schien fast epileptisch. »Sie werden mir Gewalt antun, nicht wahr?« »Nein, nein.« »Doch, ganz bestimmt.«
Frye konnte seinen Zorn kaum mehr unter Kontrolle halten. Es ärgerte ihn, daß sie ihm widersprach. Es ärgerte ihn, daß sie sich nicht von der Stelle rührte. Er wünschte, er könnte ihr das Messer in den Bauch treiben und das, was er wissen wollte, aus ihr herausschneiden, aber das konnte er natürlich nicht tun. Er wollte wissen, wo Hilary Thomas sich versteckt hielt. Wahrscheinlich würde er es am ehesten erfahren, wenn er diese Frau so zerbrach, wie man ein Stück kräftigen Draht brach: sie ein paarmal hin und herbiegen, bis sie auseinanderbrach, sie mit Drohungen in die eine Richtung biegen und mit gutem Zureden in die andere, ihr abwechselnd wehtun und dann wieder freundlich zu ihr sein. Daß sie freiwillig bereit sein könnte, ihm alles zu sagen, was sie wußte, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Für ihn stand fest, daß sie im Dienst von Hilary Thomas stand und deshalb auch im Dienst von Katherine, und daß sie demzufolge auch einen Teil von Katherines Komplott darstellte, das darauf abzielte, ihn zu töten. Diese Frau bildete keinen unschuldigen Außenseiter; sie war eine Mitverschwörerin von Katherine, vielleicht sogar selbst eine dieser Untoten. Er rechnete damit, daß sie das, was sie wußte, vor ihm verbergen wollte und ihm nur widerstrebend Auskunft geben würde.
»Ich verspreche dir, daß ich dich nicht vergewaltigen werde«, sagte er mit leiser Stimme, fast sanft. »Aber während ich dir Fragen stelle, möchte ich, daß du flach auf dem Rücken liegst, damit du nicht einfach wegrennen kannst. Wenn du auf dem Rücken liegst, fühle ich mich sicherer. Und wenn du dich schon eine Weile hinlegen mußt, dann kannst du das ebensogut auf einer weichen hübschen Matratze tun anstatt auf dem harten Fußboden. Ich will nur, daß du es bequem hast, Sally.« »Hier ist es bequem genug«, antwortete sie nervös. »Sei nicht albern«, meinte er. »Und außerdem, wenn jemand an die Tür kommt und klingelt ... dann könnte er uns vielleicht hören und auf die Idee kommen, daß etwas nicht stimmt. Im Schlafzimmer sind wir allein, dort stört uns keiner. Jetzt komm' schon, los!« Sie richtete sich auf. Er bedrohte sie mit dem Messer. Sie gingen ins Schlafzimmer.
Hilary trank gewöhnlich nicht viel Alkohol, aber jetzt war sie um das Glas Whiskey froh, in Joshua Rhineharts Büro auf der Couch sitzend und stumm der Geschichte des Anwalts lauschend. Er berichtete ihr und Tony von dem Geld, das in San Franzisko verschwunden war, von Fryes Doppelgänger, der den seltsamen Brief in dem Schließfach hinterlassen hatte – und davon, daß er selbst immer unsicherer wäre, wer nun tatsächlich in Bruno Fryes Grab läge. »Werden Sie die Leiche exhumieren?« fragte Tony. »Jetzt noch nicht«, antwortete Joshua. »Ich muß mich vorher noch um ein paar Dinge kümmern. Wenn dabei das herauskommt, was ich hoffe, dann erübrigt es sich vielleicht,
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