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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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graues Haar und lässt es leuchten wie Schnee. »Und er hinterlässt keine Spuren, null, er taucht einfach auf und verschwindet wieder. Ich bin erstaunt, dass wir ihn an diesem Abend überhaupt gesehen haben. Ich würde ihn gern wiedersehen.«
    »Warum?«
    »Um ihn zu fangen«, knurrt sie, und einen Augenblick lang ist es, als wäre meine Großmutter weg, als wäre sie jemand vollkommen anders, jemand aus einer anderen, sehr ursprünglichen Welt, dann schnappt sie wieder zurück. »Ich will jeden fangen, der Jungs entführt.«
    »Aber du bist dir nicht sicher, dass er es ist?«
    »Nein, ich bin mir nicht sicher.«
    Ich habe das Bedürfnis, Nick und Issie und Devyn alles zu erzählen. »Ich muss zur Schule, es ist schon wahnsinnig spät.«
    »Ich fahr dich.«
    »Nicht nötig«, sage ich und wirble herum, damit ich sie ansehen kann. Ihre Schultern sind breit wie die einer Schwimmerin, aber dennoch knochig. Keine Ahnung, wie sie es schafft als Rettungssanitäterin all die Leute herumzuwuchten und ihnen das Leben zu retten, wo sie doch selbst schon so alt ist.
    »Ich möchte es aber tun«, sagt sie lächelnd. »Lass mich einen Tag deine Oma sein und dich betüteln. Einverstanden?«
    Ich erwidere ihr Lächeln. »Aber nur, wenn du mir heißen Kakao machst.«
    »Außerdem hast du wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung.«
    »Ich habe keine leichte Gehirnerschütterung.«
    »Aber sicher doch.«
    Betty lässt mich an der Schule aussteigen. Wir bleiben noch einen Augenblick in ihrem Pick-up sitzen, obwohl ich sowieso schon zu spät dran bin und mir einen Verspätungswisch bei Mrs. Nix holen muss.
    »Deine Mutter vermisst dich, Zara«, sagt Betty unvermittelt.
    Etwas in mir spannt sich an. »Hmmm. Hast du gewusst, dass manche Menschen sich vor Hässlichem fürchten? Echt. Es gibt sogar einen Namen dafür mit allem Drum und Dran. Kakophobie nennt sich das.«
    »Und manche Leute fürchten sich davor, über ihre Mütter zu reden.«
    »Oh, eins zu null für dich.«
    »Verdreh nicht die Augen«, sagt Betty, aber nicht in einem ärgerlichen Ton. Sie trommelt mit den Fingern auf das Lenkrad. »Eure Beziehung macht mir Sorgen. Es hat den Anschein, als würdest du ihr aus dem Weg gehen.«
    Ich schließe die Augen, damit ich sie nicht wieder verdrehe. »Sie hat mich weggeschickt.«
    »Weil sie sich Sorgen um dich gemacht hat. Du hattest deinen ganzen Mumm verloren.« Betty fasst zu mir herüber und drückt mein Knie. Die Haut auf ihrer Hand ist brüchig und papierdünn. »Aber ich habe ganz den Eindruck, als würde dein Mumm wiederkehren.«
    Ich hebe eine Augenbraue, absichtlich nur eine, um ihr zu demonstrieren, was ich davon halte. Sie gibt mir einen Klaps aufs Knie und lacht. »Das Talent ist da. Und jetzt ab mit dir.«
    Sie hupt zum Abschied und verlässt mich, um wieder einen Tag lang die Welt zu retten. Ich schleppe mich durch den eisigen Wind in die Schule und dann die Korridore hinunter vorbei an dem großen hölzernen Adler und den Selbstporträts des Kunstkurses. Eigentlich will ich überhaupt gar nicht hier sein, aber es ist besser, als den ganzen Tag allein zu Hause zu hocken und an die Stimme im Wald zu denken.
    Die Bürotür der Schulsekretärin ist geschlossen, aber ich öffne sie und stelle mich an die Theke, bis Mrs. Nix sich umdreht und mich bemerkt. Sie macht Ablage und trällert dazu einen Countrysong, in dem es um Zeit vergeuden und Auto fahren geht. Ich räuspere mich, damit sie weiß, dass ich da bin.
    Es funktioniert. Sie dreht sich um und lächelt. »Zara?«
    Sie legt die Papiere auf ihren Schreibtisch und kommt zur Theke. Ihre Augen verengen sich besorgt, als sie meinen Verband entdeckt.
    »Alles in Ordnung, Zara?«
    Ich nicke. »Ich bin hingefallen, als ich gestern Abend laufen war.«
    Mrs. Nix schüttelt den Kopf und unterschreibt einen Verspätungsschein für mich. »Hoffentlich hat deine Großmutter dir gesagt, dass du deine Jacke auf links tragen musst.«
    Der Schein hängt schlapp in meinen Fingern. »Was?«
    Sie schaut mich langsam an und ihr Mund öffnet sich. Sehr langsam kommen ihre Worte heraus: »Oh, ich dachte, Betty hätte dir das gesagt.«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Und deine Mutter auch nicht?«
    »Nein, warum sollte sie?«, frage ich und werde immer verwirrter. Mrs. Nix ist ja wirklich nett, aber sie verhält sich wie eine kleine Verrückte. Als ob sie diejenige wäre, die nicht fassen kann, was hier abgeht.
    »Warum sollte sie? Alle verschließen die Augen davor, aber es passiert

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