Fluesterndes Gold
und Zweifel. Betty zieht meine Hände weg. Ihr Gesicht ist ein einziges Lächeln. »Er mag dich, Zara. Er hat sich um dich gekümmert. Das tun Männer, wenn sie einen mögen.«
»Er hat offenbar ein Helfersyndrom, ein Rette-die-Jungfrau-in-der-Not-Gen und das ist vollkommen unangemessen, denn ich bin nicht dauernd in Not«, sage ich ein bisschen zu bitter. Sogar ich höre es.
»Kaum. Du bist viel zu sehr damit beschäftigt, Menschen zu retten, die du gar nicht kennst.« Sie deutet auf meinen Stapel von Amnesty-International-Papieren.
»Ist das etwa schlecht?«
»Nein, es ist gut, Zara. Es ist nur. Nun … wir alle müssen von Zeit zu Zeit ein bisschen gerettet werden. Deshalb sind wir noch lange nicht schwach.«
»Er mag mich nicht so, wie ich bin.«
»Weißt du, es ist doch nicht verkehrt, zuzugeben, dass er dich mag. Es ist nicht verkehrt, gute Gefühle zu haben, Zara. Dein Dad will auf keinen Fall, dass wir aufhören zu leben.«
Meine diversen Decken liegen zerwühlt auf der Matratze. Nicht eine liegt am richtigen Platz. Ich versuche, sie glatt zu ziehen. Mein Bücherstapel und die Menschenrechtsberichte von Amnesty International kippen gegen meinen Fuß. Das Buch mit dem Namen meines Dads bleibt liegen.
»Hier ist so ein Chaos«, murmle ich und beginne, die Berichte wieder aufeinanderzustapeln. »Tut mir leid. Ich bin so unordentlich. Wetten, meine Mom war nicht so unordentlich, als ihr sie aufgenommen habt.«
»Unordentlich nicht, aber sie hat die Zahnpastatube immer offen gelassen.«
»Das macht sie immer noch!« Um meine Worte zu unterstreichen, schüttle ich die Menschenrechtsberichte in Richtung Betty. In den Berichten stehen so viele Zahlen, und jede Zahl repräsentiert den Schmerz eines Menschen oder seine Geschichte. Mein Magen knautscht sich zusammen, und ich lege den Bericht vorsichtig auf den Stapel. Dann hebe ich das Buch aus der Bibliothek auf. »Dad hat dieses Buch mal ausgeliehen. Sein Name steht hinten drin.«
Sie nimmt das Buch und schaut es starr an. Nach einer halben Ewigkeit sagt sie mit ruhiger Stimme: »Keine Angst. Achtung – Tiger.«
»Glaubst du, dass er das geschrieben hat?« Ich berühre sie am Arm. Sie wirkt auf einmal so zerbrechlich.
»Sieht nach seiner Handschrift aus.«
»Weißt du, was dieser Satz bedeutet?«
»Das war eine Geschichte von Ray Bradbury.« Ich habe sie wohl fragend angeschaut, denn sie fügt hinzu: » Science-Fiction-Autor. Einer der besten.«
»Ach so, bei Science-Fiction kenne ich mich nicht besonders gut aus.«
»Hmm, hmm.« Betty wird ganz ernst, schließt das Buch und gibt es mir wieder zurück. Ich drücke es einen Augenblick lang an die Brust, auch wenn das albern ist. Das Buch fühlt sich irgendwie besonders an. Als ob es eine Botschaft wäre, die mein Dad mir hinterlassen hat.
Betty schaut mich direkt an: »Du bist gestern Abend alleine draußen gewesen.«
Ich lege das Buch ganz oben auf den Stapel mit den Menschenrechtsberichten. »Ich weiß, dass ich …«
»Zara?« Bettys Stimme klingt drohend. Ich habe nicht schnell genug reagiert.
»Es tut mir leid«, stoße ich hervor. »Ich hab Nick und Issie gesagt, was ich mache. Ich habe ihnen eine SMS geschickt, deshalb konnten sie es mir nicht ausreden. Und ich … ich wollte einfach ein paar Antworten.«
»Und da hast du dir gedacht, dass du die Antworten am besten im Dunkeln suchst?«
Ich hole ganz tief Luft. »Versteh doch. Ich habe versucht, jemanden zu finden.«
»Jemanden?«
»Den Mann vom Straßenrand. Wir haben ihn gesehen, als du mich vom Flughafen abgeholt hast.« Ich ziehe weiter die inzwischen ziemlich glatten Laken glatt. Sie fühlen sich kühl an in meiner Hand, der Stoff ist weich und dennoch fest.
Betty zieht hörbar den Atem ein: »Zara, das ist keine gute Idee.«
Ich richte mich auf. »Warum nicht?«
Sie hört auf, das Kissen aufzuschütteln. Es baumelt an ihrer Hand: »Er ist gefährlich.«
»Wie? Woher weißt du, dass er gefährlich ist? Und auf welche Art ist er gefährlich?«
Sie entfernt sich einen Schritt von mir und stößt gegen das Bett. Dann fängt sie wieder von Neuem an, es zu machen und stopft die Ecken der Laken fest unter die Matratze. »Ich glaube, er hat den Beardsley-Jungen entführt.«
»Der Ansicht bin ich auch. Warum verhaften wir ihn dann nicht?«
»Bevor du jemanden verhaften kannst, musst du ihn kriegen.« Sie beschäftigt sich wieder mit meinem Kissen und zerrt mit schnellen, aggressiven Bewegungen an ihm herum. Die Sonne scheint auf ihr
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