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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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als wollte ich mit dem Schablonenmesser auf seine wohlgeformten Unterarme einstechen. Der Kunstlehrerin entgeht das natürlich nicht.
    Sie zeigt mit einer Klebepistole auf mich. »Zara.«
    »Ich mach nur Spaß!«, sage ich.
    »Muss ich Mr. Colt bitten, sich wegzusetzen?« Sie schürzt die Lippen. »Liebesspielchen am Nachmittag, oder was?«
    Alle kichern. Sie lachen nicht, sondern sie kichern. Ich spüre, wie mein Gesicht rot anläuft.
    »Nein, nein. Alles in Ordnung. Es geht ihm gut.«
    »Das glaub ich gleich«, murmelt ein Mädchen mit toupiertem Pony am nächsten Tisch. Ihre Nebensitzerin klatscht sie ab.
    »An die Arbeit, Leute.« Die Kunstlehrerin zieht an ihrem Arbeitskittel, sodass ihr Brustansatz zu sehen ist. »Lassen wir Nick und die Neue in Ruhe.«
    Ich mache ein finsteres Gesicht und stoße das Messer in die Zeitung. »Ich hasse es, die Neue zu sein.«
    »Warum?«
    Ich schaue zu ihm auf und versuche, mich von seinen Augen, seinem markanten Kinn oder seinen Händen nicht völlig aus dem Konzept bringen zu lassen. Ich antworte nicht.
    Wir sitzen noch eine Minute da und arbeiten weiter. Ich bin mir so verdammt bewusst, dass er direkt neben mir sitzt. Als ob ich die Wärme spüren würde, die von ihm ausgeht. Es ist angenehm.
    »Also, als ich heute Morgen zur Schule kam, hat sich Mrs. Nix total komisch verhalten. Sie hat gesagt, ich müsste meine Jacke auf links tragen, wenn ich im Dunkeln rausgehe.«
    »Was?«
    »Ich weiß. Klingt total verrückt, oder? Ich habe ›Kleider auf links tragen‹ gegoogelt«, sage ich.
    »Und?«
    »Da hieß es, Elfen könnten Menschen, die allein im Wald sind, in die Irre treiben, aber wenn wir unsere Kleider auf links tragen, dann schützt uns das.«
    Er drückt Papier an Klebstoff, Papier an Papier. »Das ist merkwürdig.« Er hält inne. »Ich habe mit Betty gesprochen.«
    »Und?«
    »Sie will dich heute Abend in ein paar Dinge einweihen.«
    »Warum erzählst du sie mir nicht jetzt gleich?«
    »Weil.«
    »Warum weil?«
    Er macht eine vage Geste. »Es könnte jemand mithören.«
    »Du musst mir einen Tipp geben, worum es geht.«
    »Du schmollst ja. Schmollen gilt nicht. Das sieht zu niedlich aus.«
    Mein Herz schlägt höher, aber dann verändert sich seine Miene. Seine Augen verengen sich. Auf einmal wird er ganz ernst.
    »Sag es mir jetzt«, verlange ich.
    »Auf keinen Fall.«
    »Bitte.«
    »Ich hab’s Betty versprochen.«
    »So?«
    »Du weißt doch, man darf Betty nicht verärgern.«
    »Stimmt.« Ich gebe auf.
    Nach einer Weile bringe ich genug Mut auf, zu ihm zu sagen: »Wenn wir Freunde sind, dann sollte ich ein paar Dinge über dich wissen.«
    Er hebt die Arme: »Nur zu.«
    »Hmm.« Ich denke eine Sekunde lang nach. »Was machen deine Eltern?«
    »Sie sind Naturfotografen. Sie sind viel unterwegs.«
    »Echt? Wo?«
    »Überall. Gerade drehen sie einen Film in Afrika.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Doch.«
    Ich nehme die Klebertube. Ein bisschen Klebstoff spritzt auf meine Finger. »Dann bist du ganz allein?«
    »Jep.«
    Ich schaudere. Wie schrecklich. »Findest du es nicht schrecklich, wenn sie wegfahren? Hast du nicht das Gefühl, dass sie dich verlassen?«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich gehöre hierher.«
    »Sehr philosophisch«, sage ich und berühre meinen Kopf an der Stelle, wo die Beule ist. Sie tut immer noch weh. Ich frage mich, ob Betty meiner Mutter davon erzählt hat.
    Seine Augen sehen bekümmert aus. »Nein, einfach wahr.«
    Es ist offensichtlich, dass das Thema für ihn abgehakt ist. Ich aber bleibe dran, denn ich finde es schrecklich, dass wir so verschieden sind.
    »Es muss schön sein, wenn man weiß, wohin man gehört«, sage ich.
    »Eines Tages wirst du das auch wissen, Zara.«
    Ich zucke die Achseln.
    »Das bezweifle ich.« Freunde hatte ich zwar immer, aber ich hatte nie das Gefühl, dazuzugehören. Meine Mom hat immer gesagt, das sei eine ganz normale, pubertäre Empfindung. Ich habe sie dafür gehasst. Ich bin aus dem Zimmer gestürzt und im White-Point-Gardens-Park laufen gegangen.
    »Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Ort finden werde«, sage ich langsam und betrachte statt Nick wieder meine Collage. Ich muss aufhören, ihn dauernd anzuschauen. »Ich bin einfach kein Mensch, der dazugehört. Aber das ist schon in Ordnung.«
    »Ich bin mir sicher, dass dir das irgendwann gelingen wird.«
    »Echt?«
    »Absolut sicher.«
    Er zeigt auf den Klebepinsel. »Kann ich den haben?«
    Ich strecke die Hand aus, um ihm den Pinsel zu geben. Gleichzeitig

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