Fluesterndes Gold
greift auch er danach. Unsere Finger berühren sich, und in diesem Augenblick flackern die Leuchtstoffröhren über uns und gehen aus.
Alle stöhnen, obwohl wir noch genug sehen können. Von draußen dringt noch Licht herein, aber einfach nicht genug, um die feinen Details zu erkennen.
Nicks Finger streicheln leicht über meine, so leicht, dass ich nicht ganz sicher bin, ob sie mich tatsächlich berühren. In meinem Innern flackerte alles wie die Leuchtstoffröhren im Zeichensaal, nur dass es dann nicht komplett erlischt. Ich wende den Kopf und schaue ihm in die Augen.
Er beugt sich herüber und flüstert: »Es wird schwer werden, nur ein Freund zu sein.«
Die Lichter gehen wieder an.
»Nur ein kleiner Stromausfall.« Die Kunstlehrerin lächelt und breitet die Arme aus. »Willkommen in Maine, Zara, dem Land der tausend Stromausfälle.«
Nicks Atem streift mein Ohr. »Ich habe gehört, dass du heute Morgen nicht selbst zur Schule gefahren bist. Ich bringe dich nach dem Geländelauf nach Hause, einverstanden?«
»Einverstanden«, sage ich und versuche ganz ruhig zu bleiben, obwohl ich am liebsten aufgesprungen und vor lauter Glück im ganzen Zeichensaal herumgetanzt wäre. Nick bringt mich nach Hause.
Draußen vor dem Zeichensaal wartete Devyn auf uns.
»Was ist los?« Nick sieht besorgt aus. »Alles okay mit Issie?«
»Ja«, sagt Devyn und winkt uns, ihm zu folgen. »Ich hab was gefunden.« Er lotst uns zu einem kleinen Kabuff, das vom Gang abgeht, direkt hinter dem Foyer. Eine rote Tür führt zu einem Lagerraum und eine andere zu einem Elektrobetriebsraum. Wir passen kaum alle in die Ecke. Nick geht in die Hocke, damit er auf Augenhöhe mit Devyn kommt. Ich tue es ihm nach.
»Okay«, sagt Devyn. »Es ist nichts Gutes.«
»Sag’s uns einfach.«
»Sie küssen«, sagt Devyn.
Ich lache. »Wer küsst?«
»Die Elfen«, erklärt Devyn. Er hält das Buch aus der Bibliothek hoch. »Das ist eine ernste Sache, Zara.«
»Tut mir leid. Ja. Sie küssen«, wiederhole ich und schaue Nick an, der noch nie ein Mädchen geküsst hat.
Devyn hat offenbar bemerkt, dass ich Nicks Lippen angeschaut habe, denn seine Stimme klingt genervt: »Das ist kein guter Kuss. Er kann dich umbringen.«
»Oh, ein Kuss mit Schmackes«, spotte ich.
»Zara …«, sagt Nick warnend.
Ich hebe wieder die Hand und lehne mich mit dem Rücken an die Wand, um mich abzustützen. »Entschuldigung.«
Devyn zeigt auf mich: »Keine weiteren Unterbrechungen und keine weiteren Versuche, deine Angst hinter armseligen sarkastischen Kommentaren zu verstecken, auch wenn ich das zu schätzen weiß. Jedenfalls gibt der Kuss dem Elfenkönig eine gewisse Macht über die Seele der Frau. Und er verwandelt sie in einen Elf.«
»Was heißt?«, fragt Nick.
»Ich bin mir nicht sicher«, fährt Devyn fort, »aber wenn sie rein menschlich ist und kein Elfenblut in sich hat, kann der Kuss sie töten.«
»Warte«, sage ich. »Der Elfentyp küsst also eine Frau. Sie stirbt entweder oder sie wird Königin. Auf jeden Fall ergreift er Besitz von einem Teil ihrer Seele.«
»Ja.«
»So eine Scheiße«, sage ich. »Aber du hast gesagt, wenn sie rein menschlich ist? Was könnte sie noch sein?«
Devyn zuckt die Achseln. »Sie könnte schon Elfenblut in sich haben. Nach diesem Buch stammen viele Menschen von Elfen ab. Oder …«, er schaut zu Nick auf und sagt dann: »Oder sie ist ein Werwesen.«
»Schon wieder Werwesen? Werwölfe?« Ich schüttle den Kopf und stehe auf. Der Armreif rutscht meinen Arm hinunter. »Das ist doch völlig abgedreht.«
»Zara?« Auch Nick steht auf. Er greift nach meiner Hand. »Die Hälfte glaubst du doch schon.«
»Ich weiß! Aber Küsse, die deine Seele rauben? Elfenblut? Werwesen? Das ist doch total abgedreht.« Ich nehme das Buch aus Devyns Schoß und gehe weg. »Viel zu abgedreht – mir jedenfalls.«
Malaxophobie
Die Angst vor Liebesspielen
Nick und ich hören schon früh mit dem Training auf, denn mir dreht sich immer noch alles, weil ich mir den Kopf gestoßen habe und ein bisschen vielleicht auch wegen des Gesprächs mit Devyn in dem Elektrobetriebsraum.
»Ich kann sie heimbringen«, bietet Ian an, als er sieht, dass Nick mich von der Strecke führt.
Nick hebt den Arm. »Nö. Die Runde geht an mich.«
Coach Walsh wartet auf dem Parkplatz, wo die Strecke endet. Er lehnt an seinem alten, weinroten Pick-up und hält sein Klemmbett vor sich. Nachdem er mich mit seinem Blick gestreift hat, verändert sich sein ganzes
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