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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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Fingerknöchel an der Tür. Nick bleckt die Zähne noch mehr, bis das Zahnfleisch sichtbar wird.
    »Zara?« Die Stimme ist tief und ein bisschen heiser. Sie klingt vertraut, und es ist nicht die Stimme aus dem Wald.
    Mein Herz macht einen Satz, aber diesmal nicht aus Angst.
    »Zara, Liebes?«
    Das kann nicht sein, völlig unmöglich.
    Ich setze mich aufrechter hin und schwinge die Beine vom Bett hinunter.
    Die Kerze auf dem Schreibpult flackert, bekommt durch einen Lufthauch neue Nahrung und wächst zu doppelter Größe an.
    Voller Hoffnung flüstere ich:
    »Daddy?«
    Vitricophobie
    Die Angst vor dem Stiefvater
    Das kann nicht sein. Es ist völlig unmöglich, aber die Stimme klingt nach ihm. Die Zunge scheint mir am Gaumen zu kleben, und mein Brustkorb drückt sich eng zusammen, dennoch schaffe ich es noch einmal:
    »Daddy?«
    Nicks Knurren gerät außer Kontrolle. Sein ganzer Körper bebt. Er vibriert. Mein Körper vibriert auch.
    Einem knurrenden Wolf will man nicht mal mit einem Abstand von drei Metern begegnen, und ich bin viel dichter dran und es ist furchterregend. Es ist wirklich furchterregend, aber nicht so furchterregend wie das, was sich auf der anderen Seite der Tür befindet.
    Mein Dad ist gestorben. Aber jetzt redet er hier. Ich kann ihn trotz des Knurrens hören. Wirklich. Ich höre ihn, direkt hinter der Tür.
    Meine Füße bewegen sich über den Fußboden.
    »Daddy, bist du das?«, flüstere ich.
    Irgendwie hört er mich auch.
    »Mach die Tür auf, Zara, Liebes, und lass mich rein.«
    Ich möchte es tun. Ich möchte es wirklich, aber der Schock macht meine Gliedmaßen langsam und schwer. Dann stellt sich Nick auf die Hinterbeine und drückt seine Pfoten gegen die Tür. Er versperrt mir den Weg.
    »Geh weg, Nick«, bitte ich und trete näher heran, lehne mich gegen ihn und lege die Handflächen an die Tür, als ob ich irgendwie durch die Tür hindurch etwas erfühlen und das Gesicht meines Dads berühren könnte, als ob ich seine wieder warme Haut spüren könnte, in der das Leben pulsiert. Natürlich kann ich das nicht. Dass das Holz unter meinen Händen so kalt ist, erscheint mir total unfair.
    »Es kann nicht sein, dass du hier bist.« Meine Stimme klingt piepsig. Das Herz klopft mir in der Brust.
    Wenn ich diese Tür öffne, steht er dann da? Lächelt er mich dann an und zeigt seine Grübchen? Umarmt er mich? In den vergangenen Monaten habe ich nur einen einzigen Wunsch gehabt: Dass er am Leben ist.
    Aber ich habe ihn auf dem Boden liegen gesehen. Ich habe ihn im Sarg gesehen. Und du spürst es, wenn jemand gestorben ist, du spürst, dass seine Seele fort und dass sein Körper leer ist. Aber wenn es Werwölfe und Elfen gibt, dann ist vielleicht auch dies möglich. Vielleicht ist mein Daddy wirklich da, direkt vor mir, nur durch ein paar Zentimeter Holz getrennt von mir.
    Ich schwanke in Richtung Tür. Meine Schulter drückt in Nicks Flanke. »Unmöglich. Du kannst nicht hier sein.«
    »Aber ich bin da, Zara. Lass mich rein. Ich erklär dir alles«, sagt er.
    Er ist gestorben. Er ist gestorben. Ich habe gesehen, wie er gestorben ist. Das Wasser auf dem Fußboden. Sein Gesicht, ganz kalt unter meinen Fingern.
    Aber was, wenn nicht? »Daddy?«
    »Ich bin hier, Süße.«
    In meinem Hals bilden sich Klumpen, die bis in mein Innerstes hinunterreichen.
    Es ist seine Stimme. Seine. Direkt hier. Ich strecke die Hand nach dem Türknauf aus, komme aber nicht dazu, die Tür zu entriegeln.
    Nick stößt mit dem Kopf nach mir, drückt gegen mein Kinn und meine Wange. Es fühlt sich an wie ein Schlag. Seine Schnauze schiebt meinen Kopf weg von der Tür. Er zwängt sich zwischen mich und das Holz. Ich bekomme Fell in den Mund, spucke es aus und versuche, ihn wegzudrücken.
    »Das ist mein Dad. Mein Dad.« Ich schlage mit der Hand gegen die Tür. »Er ist auf der anderen Seite. Die Elfen werden ihn kriegen.«
    Nick zeigt mir die Zähne.
    »Ich will ihn nicht noch einmal verlieren, Nick.«
    Der Wolf knurrt, als wolle er gleich beißen. Mein Kopf zuckt zurück, weg von ihm, aber dann fange ich mich wieder.
    »Geh … mir … aus … dem … Weg.«
    Ich drücke gegen seinen dicken Hals und schlage mit den Händen immer wieder zu, verprügle ihn regelrecht. Er rührt sich nicht vom Fleck.
    »Geh zur Seite!«, befehle ich ihm. »Geh zur Seite.«
    »Zara, ist da ein Wolf bei dir? Trau ihm nicht«, sagt die Stimme meines Dads ruhig, sehr ruhig sogar.
    Ich packe eine Handvoll Fell und erstarre. Auf einmal fällt mir auf,

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