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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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dass etwas nicht stimmt. Mein Dad wäre nie im Leben so ruhig, wenn er weiß, dass ein Wolf bei mir im Zimmer ist. Er wäre völlig gestresst, würde schreien, die Tür aus den Angeln reißen oder sie eintreten, wie er es einmal gemacht hat, als ich noch ganz klein war und mich im Bad eingeschlossen hatte und das Schloss nicht entriegeln konnte, weil es so alt war. Er trat gegen die Tür, dass das Holz splitterte, und drückte mich an sich. Immer wieder küsste er mich auf die Stirn.
    »Ich lasse nicht zu, dass dir jemals etwas passiert, Prinzessin«, hatte er gesagt. »Du bist mein Baby.«
    Mein Dad würde die Tür eintreten. Mein Dad würde mich retten.
    »Lass mich rein«, sagt er. »Zara …«
    Ich lasse von Nick ab und torkle rückwärts ins Zimmer hinein, weg von der Tür. Meine Hände fliegen zu meinem Mund und bedecken ihn.
    Nick knurrt mich nicht mehr an, sondern wedelt mit seinem buschigen Schwanz.
    Woher sollte mein Dad wissen, dass ein Wolf in meinem Zimmer ist, und nicht ein Hund?
    Ich schaudere. Nick lässt sich neben mir auf die Keulen nieder und drückt seine Flanke an meine Beine. Ich vergrabe meine Hände in seinem Fell. Ich suche etwas. Trost vielleicht? Oder Wärme? Oder Kraft? Vielleicht auch alle drei?
    »Du bist tot«, sage ich, und ein Schluchzer bricht aus meiner Brust. »Du kannst nicht hier sein.«
    »Ich bin nicht tot, Zara.«
    Ich gehe weg von Nick, schnappe mir ein Kissen und drücke es wie einen Schild an mich. Die Erinnerung an meinen Dad auf dem Fußboden überfällt mich. Ich sehe die Wasserflasche über die Dielen rollen. Ich sehe seinen Mund, offen, nach Luft ringend.
    »Doch. Du bist tot«, sage ich. »Du hast mich verlassen. Ich habe dich gesehen. Du hast mich verlassen. Und ich bin jetzt hier in Maine. Wo alles vollkommen verrückt ist und wo du nachts nicht laufen kannst und wo es kalt ist.«
    »Zara, lass mich rein. Ich erklär dir alles.«
    Ich werfe den Menschenrechtsbericht 2009 an die Tür. Er schlägt gegen das Holz. Nick duckt sich und kriecht aus der Schusslinie. Ich greife nach dem nächsten Jahresbericht und knalle ihn gegen den Türknauf.
    »Du Lügner! Gar nichts kannst du erklären. Überhaupt nichts! Du hast mich verlassen!«
    Schluchzend stürze ich zur Tür und schlage mit den Fäusten dagegen.
    »Du bist gegangen.«
    Mein Dad war der größte Umarmer überhaupt. Seine Umarmungen waren allumfassend und gaben Sicherheit, wie die eines großen Teddybären, nur wärmer.
    »Lass mich einfach rein, Zara.« Jetzt klingt er ärgerlich, so hat er immer geklungen, wenn ich meine Mutter angemotzt habe. Er klingt genau wie mein Dad.
    Einen Schritt nach vorn, noch einen. Nicks Wolfsstimme lässt ein leises grollendes Knurren ertönen. Ich lege den Finger an die Lippen und bedeute ihm so, leise zu sein.
    Meine Finger zittern, aber sie entriegeln die Tür.
    »Lass mich rein, Zara«, sagt er.
    Nick stupst mich an, damit ich von der Tür weggehe, und ich lasse ihn.
    »Nein«, sage ich. »Wenn du wirklich mein Dad wärst, könntest du die Tür selbst öffnen.«
    Keine Antwort.
    Ich hab’s gewusst. Ich hab gewusst, dass darauf keine Antwort kommen würde.
    Nick schnuppert an meiner Hand. Meine Hände vergraben sich in seinem Fell.
    »Warum machst du die Tür nicht auf?«, frage ich. »Sie ist nicht verriegelt.«
    Etwas in mir schreit gellend auf. Die Verzweiflung nimmt mir den Atem.
    »Los, mach schon!«, brülle ich, zugleich wild und verloren, allein und doch nicht allein. Nick schiebt sich vor mich, schirmt mich ab gegen die Tür und was immer dahinter ist. »Warum kommst du nicht, hä? Warum machst du diese gottverdammte Tür nicht auf?«
    Ich starre auf den Türknauf. Er bewegt sich nicht. Der Typ weiß, dass er mich nicht zum Narren halten kann.
    Nick hat recht gehabt. Elfen können nur Räume betreten, in die sie eingeladen werden oder in denen sie zuvor schon einmal waren.
    Mein Stiefvater ist x-mal in diesem Raum gewesen. Wenn wirklich er draußen stehen würde, dann wäre er einfach in dem Augenblick hereingekommen, in dem ich die Tür entriegelt habe.
    Aber er steht nicht da draußen. Er ist nicht auf magische Weise von den Toten auferstanden.
    Es ist jemand anderes. Oder etwas anderes, etwas, das in diesem Haus war, aber nicht in diesem Zimmer. Es ist etwas, das sich anhört wie mein Dad.
    »Komm einfach zu mir, Zara. Ich brauche dich.«
    »Was?«
    »Die Begierde … Ich kann mich ihr nicht länger widersetzen … Sie ist gewaltig.«
    »Was bist du?«, frage ich,

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