Fluesterndes Gold
kribbeln. Ich liege schließlich mit einem süßen Jungen, ’tschuldigung einem süßen Werwolf, auf meinem Bett. Der Wind rüttelt am Fenster. Glücksgefühle? Wie weggeblasen.
»Müssen wir Angst haben?«, frage ich.
»Willst du eine ehrliche Antwort?«
Ich nicke.
»Ja.«
Ich strecke den Arm aus und berühre sein Gesicht, streiche einfach mit der Hand seitlich darüber. Seine Kaumuskeln spannen sich unter meinen Fingern an. »Erklär mir, was es bedeutet, ein Werwolf zu sein.«
Er schüttelt den Kopf. Meine Hand bewegt sich mit ihm. Diesmal lasse ich nicht locker.
»Werwesen haben eine Seele. Wir sind zum Teil menschlich. Elfen eher weniger. Sie sind gar nicht menschlich, sagt Betty. Eine Theorie besagt, dass sie einem Geschlecht angehörten, das es nicht in den Himmel schaffte, das aber auch nicht so böse war, dass es in die Hölle kam. Deshalb müssen sie sich auf ewig hier auf der Erde rumquälen.«
Ich hebe die Augenbrauen. Er streckt die Hand aus und glättet meine Stirnfalten. Dann senkt er den Kopf und schnüffelt an meinen Haaren. Seine Worte blasen mich an. »Du glaubst nicht an diese Theorie?«
»Sie ist dumm.«
»Finde ich auch«, sagt er, lässt sich auf den Rücken fallen und zieht mich zu sich heran. »Elfen sind eindeutig böse genug für die Hölle.«
»Wenn es die Hölle überhaupt gibt«, wende ich ein.
»Genau.« Er klingt nicht wirklich überzeugt. »Nach einer anderen Theorie kamen einst fünf alte Geschlechter auf die Erde.«
»Welche?«
»Elfen, Feen, Werwesen, Kobolde und noch eines, aber das weiß ich nicht mehr. Sie halten eine Ratsversammlung ab und werden Lichtgestalten genannt.«
»Wie in der Notiz von meinem Dad.«
Wir liegen einen Augenblick schweigend da, dann schlucke ich und kuschle mich ein bisschen dichter an Nick. Mir ist es egal, was er über Elfen oder Werwöfe oder was immer sagt. Bei ihm fühle ich mich sicher.
»Du hast gesagt, dass die Elfen nur reinkommen können, wenn man sie einlädt, wie die Vampire bei Stephen King.«
»Keine Ahnung, wie Vampire funktionieren. Bin mir nicht mal sicher, ob es sie in Wirklichkeit gibt.«
»Echt nicht?«
»Ja.«
»Na, wenigstens eine gute Nachricht.«
Seine Finger schließen sich fester um meine Schulter.
Ich nehme einen tiefen Zug von seinem Duft nach Wolf/Mann/Kiefer und wappne mich. »Meine Mom hat mich in das Land der Kälte und der Elfen geschickt. Tolle Mom.«
»Nachdem, was Betty gesagt hat, war sie wirklich sehr um dich besorgt. Sie meinte, du wärst innerlich tot.«
»Das war ich auch. Ich war leer. Aber jetzt nicht mehr«, sage ich, aber ich will nicht über mich sprechen. Ich denke einen Augenblick nach und atme seine Wärme ein. »Warum hat sie mich hierher geschickt, obwohl wir vorher niemals hierher zurückgekommen sind?«
»Du warst nie wieder in Maine?«
»Betty hat immer uns besucht. Das letzte Mal, als Mom da war, sind all die Jungs verschwunden.«
»Okay.«
»Das war direkt, nachdem meine Mom mit dem College fertig war. Das muss schon irre gewesen sein. Sie ist heimgekommen, dann sind die Jungs verschwunden, sie hat mich bekommen, hat meinen Dad geheiratet und dann an der Tulane-Uni in New Orleans ihren Master gemacht. Sie muss doch das Gefühl gehabt haben, mit allem von vorn anzufangen. Vielleicht wollte sie einfach alles vergessen. Ich meine, sie hat doch bestimmt einige der Jungen gekannt, die verschwunden sind.«
Das krabbelige Gefühl kommt. Der Kratzer an meiner Hand brennt.
»Das ist komplett wahnsinnig«, sage ich und lasse mich zurück aufs Bett plumpsen.
Er drückt meine gesunde Hand. »Allerdings.«
Ich schaue hinauf zu der Flamme der Amnesty-International-Kerze. All die Menschen in den Gefängnissen auf der ganzen Welt – gefoltert, eingesperrt, oft völlig grundlos, oft nur, weil sie gesagt haben, was sie denken. Wie konnte all das Teil ein und derselben Welt sein? Nick und ich machen uns Sorgen wegen Elfen. All die anderen Menschen auf der ganzen Welt sorgen sich ums Überleben.
Was ist die Gemeinsamkeit?
Nur die Flamme der Kerze.
Nur die Hoffnung.
»Was ist passiert?«, frage ich. »Was ist das letzte Mal passiert?«
»Dauernd sind Menschen verschwunden. Nachts. Immer, wenn sie allein waren. Die Stadt hat ein Ausgangsverbot verhängt«, sagt er. »Irgendwann hat es aufgehört.«
»Und weshalb?«
»Das weiß niemand.« Seine Stimme wird tiefer. »Außer vielleicht Betty. Ich habe den Verdacht, dass sie mehr weiß.«
»Dann hätte sie es uns sagen
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