Fluesterndes Gold
Wut.
»Und was ihr wollt, das bin ich?« Ich ziehe bewusst die Augenbrauen hoch und versuche, meine Angst nicht zu zeigen. »Das ist ein Klischee.«
»Klischees sind aus gutem Grund Klischees«, sagt er.
»Was ist mit Betty?«
Er zuckt die Achseln. »Ich hab keine Ahnung, wo deine Großmutter ist. Schau dich um. Weißt du, was das ist? Hier wurden früher Möbel gelagert. Alles aus Beton, perfekt für Gefangene. Ganz ähnlich wie dieser Amnesty-International-Mist, mit dem du es dauernd hast. Die Welt retten wollen, typisch Zara. Aber du hast nie darüber nachgedacht, wer dich retten würde, oder?«
»Ich muss nicht gerettet werden.«
»Nein, wirklich nicht. Du bist hier absolut sicher.« Er kommt näher und zieht schnüffelnd die Luft ein. Er ist nur dreißig Zentimeter oder so von mir entfernt. Ich versuche auszuweichen, aber ich bin schon ganz an der Wand. Er lächelt, aber es ist ein trauriges Lächeln. »So sicher wie man eben sein kann, wenn man nicht die Kontrolle hat oder nicht an der Macht ist.«
»Musstest du Bettys Haus verwüsten?«, frage ich.
Er lacht. »Das waren nicht wir. Das war der König. Er ist sehr aufbrausend, weißt du, so ähnlich wie du. Das liegt im Blut, egal wie sehr du dich bemühst, es unten zu halten. Bei dir brodelt es sicher auch unter der Oberfläche und drängt nach draußen.«
»Dann hat er also seine Taktik geändert. Hat euch befohlen, mich zu entführen.«
»Nein. Er hat nichts damit zu tun. Das geht alles von mir aus.« Er fährt sich ultralässig mit der Hand durch die Haare und zieht dann ein Schweizer Taschenmesser aus der Hosentasche. Dann nimmt er den Zahnstocher aus dem Messer und fängt an, sich damit die Nägel zu reinigen.
»Nette Einschüchterungstaktik«, sage ich. »Wie im Lehrbuch. Von einem Elf hätte ich was Originelleres erwartet.«
Er antwortet nicht, aber er blinzelt. Seine Backenmuskeln spannen sich an. Nach ein paar Sekunden schiebt er den Zahnstocher wieder in das Messer zurück.
»Du bist so süß, Zara, und so unschuldig und liebenswert. Aber niemand kann jemand anderes retten, verstehst du? Wir können nur uns selbst retten. Aber das weißt du, oder?«
Er streckt den Arm aus. Seine Fingerspitzen berühren meine Wangen und zeichnen die Konturen meiner Kieferknochen nach.
Ich will mich nicht bewegen. »Musstest du einst gerettet werden, Ian?«
Sein Finger hält inne. Sein Blick bohrt sich in meine Augen, und er flüstert. »Vielleicht.«
»Du warst nicht immer ein Elf. Sie haben dich verwandelt.« Ich schlucke, und in seinen Augen blitzt Wahrheit auf. Ich rede weiter. »Du bist nicht der Elf, der mich im Wald verfolgt hat. Ich weiß das. Du fühlst dich irgendwie anders an.«
Seine Finger bewegen sich wieder ganz langsam. Ich wende den Kopf, aber seine Finger bewegen sich weiter.
»Nein«, sagt er. »Das war ich nicht.«
Ich zwinge mich, ihn anzusehen. Ich betrachte seine blasse Haut, seine tiefgründigen Augen, die eigentlich nicht mehr menschlich sind. Wie konnte mir das entgehen? Ich war zu sehr damit beschäftigt, traurig zu sein, zu beschäftigt, Nick zu bemerken. Zu beschäftigt, geschmeichelt zu sein, dass mich jemand mag, vermute ich mal.
»Wer war es dann?«
»Der König. Er will dich. Aber glaub mir. Du willst nicht, dass er dich bekommt. Es ist viel besser, wenn du mit uns gehst. Er ist schwach geworden, und wir haben im Grunde einen Revierkampf und du kannst das alles beenden.« Er schüttelt den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass jemand, der so klein und so traurig ist, diejenige sein würde, auf die wir alle gewartet haben. Wir alle wollen dich oder hassen dich.«
»Warum?«
»Schicksal. Es gibt nur dich. Zara. Prinzessin. Hast du dich nie gefragt, was dein Name bedeutet?«
Ich kapiere es nicht. »Meine Mutter hat mir den Namen gegeben.«
»Eben.«
»Was meinst du mit ›eben‹?«
»Du setzt die Blutlinie fort. Wer auf dich Anspruch erhebt, erhebt auch Anspruch auf das Königreich.«
»Das ist lächerlich.«
»Nein, das ist es nicht.«
Er umfasst mein Gesicht mit seinen kalten Händen. »Weißt du, was es bedeutet, von einem Elf geküsst zu werden, Zara?«
Ich weiß es.
»Der Kuss verwandelt dich«, fährt er fort. »Das ist schmerzhaft, aber richtig durchgeführt, stirbt die Menschenfrau nicht, sondern sie wächst. Sie wird wie wir. Manche Menschen, Menschen wie du zum Beispiel, haben den Elf schon im Blut. Bei mir war das auch so.«
»Aha.« Es ist schwer, nicht sarkastisch zu sein. Aber jedenfalls ist
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