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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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ersten fünfzig Treppenabsätzen bleibt mir der Atem nicht mehr lange genug in der Lunge, um noch was zu nützen. Meine Füße schlagen hinter mir aus. Mein Herz springt an die Rippen, hinter denen es sich in der Brust verbirgt. Meine Mundschleimhäute und meine Zunge sind angeschwollen und mit vertrocknetem Speichel verklebt.
    Ich bin auf so einem Treppensteigapparat, den der Agent mir besorgt hat. Da klettert und klettert man und gelangt doch niemals in die Höhe. Man ist in seinem Hotelzimmer gefangen. Das ist die mystische Schwitzhüttenerfahrung unserer Zeit, der einzige indianische Initiationsritus, den wir in unserem täglichen Terminkalender unterbringen können.
    Unser StairMaster zum Himmel.
    Im sechzigsten Stock zieht mir der Schweiß das Hemd bis zu den Knien runter. Das Innere meiner Lunge fühlt sich so an, wie ein Nylonstrumpf mit einer Leiter drin aussehen muss: überdehnt, überstreckt, eingerissen. Meine Lunge. Ich habe einen Lungenriss. Wie ein Reifen kurz vor dem Platzen aussieht, so fühlt sich meine Lunge an. Wie es riecht, wenn auf der Heizung oder im Föhn eine Staubschicht verbrennt, so fühlen sich meine Ohren an.
    Ich mache das, weil der Agent sagt, er könne mich nur berühmt machen, wenn ich dreißig Pfund abnehme.
    Wenn der Körper ein Tempel ist, kann es passieren, dass man die Wartung zu lange hinausschiebt. Wenn der Körper ein Tempel ist, war meiner eine echte Bruchbude.
    Irgendwie hätte ich das kommen sehen müssen.
    Genau wie jede Generation Jesus Christus neu erfindet, bastelt der Agent auch mich neu zusammen. Der Agent sagt, niemand werde jemanden verehren, der eine solche Wampe habe wie ich. Heutzutage strömen die Leute nicht in die Stadien, um sich von einem, der nicht schön ist, etwas vorpredigen zu lassen.
    Und deshalb renne ich mit einer Geschwindigkeit von siebenhundert Kalorien pro Stunde nach nirgendwo.
    Im achtzigsten Stock fühlt sich meine Blase an, als würde sie mir in den Oberschenkeln stecken. Wenn man von einem Gericht in der Mikrowelle die Plastikhülle abnimmt und der Dampf einem die Haut verbrüht – so heiß ist mein Atem.
    Du steigst und steigst und steigst und kommst nirgendwo an. Eine Illusion von Fortschritt. Du würdest gern an dein Seelenheil denken.
    Die Leute bedenken nicht, dass auch eine Reise nach nirgendwo mit einem einzigen Schritt anfängt.
    Es ist nicht so, als ob dich der große Koyotegeist überkommt, aber im einundachtzigsten Stock dringen dir solche wahllosen Gedanken aus der Ozonschicht in den Schädel. Albernes Zeug, das der Agent erzählt hat, ergibt plötzlich einen Sinn. Wenn man mit reinen Ammoniakdämpfen putzt, wenn man Hühnerhaut vom Grillrost schrubbt, hat man auf einmal das Gefühl, all das alberne Zeug auf der Welt, entkoffeinierter Kaffee, alkoholfreies Bier, StairMasters, sei vollkommen vernünftig, und zwar nicht, weil man plötzlich klüger geworden wäre, sondern weil der kluge Teil des Gehirns in Urlaub gegangen ist. Das ist eine falsche Klugheit. So eine Art Erleuchtung wie von chinesischem Essen, bei der man weiß, dass man, zehn Minuten nachdem der Kopf sich wieder geklärt hat, alles wieder vergessen haben wird.
    Meine Lunge fühlt sich so winzig an wie diese durchsichtigen Plastiktüten, in denen man im Flugzeug anstelle einer richtigen Mahlzeit eine Portion in Honig gerösteter Erdnüsse bekommt. So dünn kommt einem die Luft nach fünfundachtzig Stockwerken vor. Die Arme schlenkern. Die Füße stampfen auf die Stufen. In dieser Phase hat man ungeheuer tiefsinnige Gedanken.
    Neue Einsichten tauchen auf wie Blasen in einem Topf mit Wasser kurz vor dem Siedepunkt.
    Im neunzigsten Stock ist jeder Gedanke eine Epiphanie.
    Links und rechts lösen sich Paradigmen auf.
    Alles Gewöhnliche wird zu einer starken Metapher.
    Der tiefere Sinn von allem liegt direkt vor deiner Nase.
    Und alles ist so bedeutungsvoll.
    Alles ist so profund.
    So real.
    Alles, was der Agent mir erzählt hat, klingt vollkommen vernünftig. Zum Beispiel, wenn Jesus Christus im Gefängnis gestorben wäre, ohne dass es jemand gesehen hätte und ohne dass jemand dagewesen wäre, der ihn hätte betrauern oder foltern können: Wären wir dann erlöst?
    Mit allem gebührenden Respekt.
    Dem Agenten zufolge ist der wichtigste Faktor, der einen zum Heiligen macht, die Berichterstattung durch die Medien.
    Im hundertsten Stock wird alles deutlich. Das ganze Universum, und hier sprechen jetzt nicht bloß die Endorphine. Steigt man über das hundertste

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