Flug 2039
um den Nobelpreis entgegenzunehmen.
Deine Lippen hast du nur, um einer Talkmasterin ein Küsschen zu geben.
Und da kannst du genauso gut auch gut aussehen.
Im hundertzwanzigsten Stock kannst du noch lachen. Eines Tages verlierst du ihn ja doch. Deinen Körper. Du verlierst ihn jetzt schon. Zeit, alles auf eine Karte zu setzen.
Und deswegen sagst du Ja, als der Agent dir mit Anabolika kommt. Du sagst Ja zu Doppelsitzungen im Sonnenstudio. Elektrolyse? Ja. Die Zähne richten? Ja. Haut abschleifen? Ja. Schälkuren? Wer berühmt werden will, erklärt der Agent, muss immer nur Ja sagen. Das ist das ganze Geheimnis.
Kapitel 27
Auf der Fahrt vom Flughafen zeigt mir der Agent sein Krebsmittel. Es heißt ChemoSolv. Das soll den Tumor auflösen, sagt er und nimmt ein braunes Fläschchen mit dunklen Kapseln aus der Aktentasche.
Das ist jetzt ein kleiner Sprung zurück in die Zeit, bevor ich die Treppensteigmaschine kennen lernte, zurück zu meiner ersten Begegnung mit dem Agenten; es ist die Nacht, in der er mich am New Yorker Flughafen abholt. Bevor er mir sagt, dass ich noch zu dick bin, um berühmt zu werden. Bevor ich ein Produkt bin, das lanciert werden soll. Als mein Flugzeug in New York landet, ist es dunkel. Nichts sonderlich Spektakuläres. Es ist Nacht, am Himmel hängt derselbe Mond wie bei uns zu Hause, und der Agent ist einfach ein normaler Mann, der vor dem Flughafen auf mich wartet, ein Mann mit Brille und Seitenscheitel.
Wir geben uns die Hand. Ein Auto fährt am Bordstein vor, und wir steigen hinten ein. Er zupft beim Einsteigen an den Bügelfalten seiner Hose. Der Mann sieht wie maßgeschneidert aus.
Er sieht ewig und dauerhaft aus. Ich brauche ihn nur zu sehen, und schon habe ich die gleichen Schuldgefühle, wie wenn ich etwas kaufe, was nicht wieder verwertbar ist.
»Unser zweites Krebsmittel heißt Oncologic«, sagt er, als wir nebeneinander auf der Rückbank sitzen, und reicht mir ein anderes braunes Fläschchen. Das Auto hat schwarze Ledersitze und ist innen rundherum ausgepolstert, das gefällt mir. Die Fahrt ist ruhiger als der Flug.
Auch in der zweiten Flasche sind dunkle Kapseln, und außen drauf klebt ein ganz normales Apothekenetikett. Der Agent nimmt noch ein Fläschchen aus der Tasche.
»Das ist eins unserer Aids-Medikamente«, sagt er. »Das ist unser Renner.« Er nimmt eine Flasche nach der anderen heraus. »Hier haben wir unser Spitzenprodukt gegen antibiotikaresistente Tuberkulose. Das hier ist gegen Leberzirrhose. Alzheimer. Multiple Neuritis. Multiples Myelom. Multiple Sklerose. Rhinoviren«, sagt er und schüttelt jedes Mal die entsprechende Flasche, sodass die Pillen darin klappern, und hält sie mir hin.
ViralSept, steht auf einer Flasche.
MaligNon, steht auf einer anderen.
CerebralSave.
Kohlercain.
Dummes Zeug.
Die braunen Plastikflaschen haben alle die gleiche Größe, einen weißen Verschluss mit Kindersicherung und Etiketten derselben Apotheke.
Der Agent ist in einen leichten grauen Anzug verpackt und trägt außer der Aktentasche nichts bei sich. Hinter seiner Brille befinden sich zwei braune Augen. Er hat einen Mund. Saubere Fingernägel. Nichts an ihm ist bemerkenswert, bis auf das, was er mir zu sagen hat.
»Nennen Sie mir irgendeine Krankheit«, sagt er. »Wir haben für alles ein Heilmittel.« Er schaufelt noch mehr braune Fläschchen aus seiner Aktentasche und schüttelt sie. »Ich habe das alles mitgebracht, weil ich etwas beweisen will.«
Mit jeder Sekunde gleitet unser Auto tiefer durchs Dunkel nach New York City hinein. Um uns halten andere Autos im selben Tempo mit. Ich sage, wie sehr es mich überrascht, dass es alle diese Krankheiten immer noch gibt.
»Es ist eine Schande«, sagt der Agent, »wie sehr die Medizin immer noch die absatzpolitischen Aspekte vernachlässigt. Also, jahrelang haben wir alle möglichen verkaufsfördernden Maßnahmen durchgezogen, Kaffeebecher als Werbegeschenke für die Ärzte, Anzeigen in Wohlfühlzeitschriften, alles, die totale Kampagne, aber im Hintergrund spielt immer noch dieselbe alte Geige. Forschung und Entwicklung hinken immer noch weit hinterher. Die Affen in den Labors sterben immer noch wie die Fliegen.«
Die perfekten Zahnreihen in seinem Mund sehen aus wie von einem Juwelier eingesetzt.
Die Aids-Pillen sehen genauso aus wie die Krebs-Pillen und die Diabetes-Pillen. Ich frage: Das alles ist also noch gar nicht erfunden?
»Vermeiden wir das Wort ›erfunden‹«, sagt der Agent. »Das klingt so
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