Flug des Adlers
tut mir wirklich leid, Gide. Ich werde von hier verschwinden.«
»Was?«, fragte sie.
»Dieser Ort ist Gift.«
»Was, Unzucht und Peitsche gibt es auch in den Löchern? Und dabei bist du doch Offizier und alles.«
»Nein. Ihre Art zu kämpfen … sie zwingen die Kur in Seattle in die Knie, indem sie die Bevölkerung dezimieren, und ich meine damit nicht, dass sie sie umsiedeln würden.«
»Mein Gott. Die armen Schweine.«
»Ich habe getan, was ich hier tun musste, gewissermaßen jedenfalls, und jetzt werde ich verschwinden.«
»David, du machst mir Angst. Diese Herdenmenschen hätte es so oder so erwischt. Warum dann nicht dafür sorgen, dass sie nicht in den Türmen enden?«
»Sag nicht, du wusstest das.«
»Nein, du hast es mir gerade gesagt. Aber - Scheiße! - es ergibt einen Sinn. Wir sind, was die brauchen, nicht wahr? Warum sollen wir den Blutsaugern dann überlassen, was sie brauchen?«
Valentine fühlte, wie seine Wangen heiß wurden. »Du hast früher unter ihnen gelebt. So ziemlich dein Leben lang.«
»Ja, und ich hätte mich lieber erschießen oder erhängen lassen oder was immer sie mit diesen Leuten machen, als hinzunehmen, dass irgend so ein verdammter Zischer mich am Haken hat.«
Wenn sie es nur hätte sehen können, wenn sie es miterlebt hätte …
»Ich verschwinde. Ich muss meiner Kontaktperson Bericht erstatten. Vielleicht … vielleicht ändert das was. Ich weiß es nicht.«
»Viel Glück dabei. Ich kämpfe darum, in die regulären Truppen aufgenommen zu werden. Bald gibt es einen Schießwettbewerb - man kann eine einmonatige Reise in die Wildnis zum Jagen und Trainieren gewinnen. Das ist eine tolle Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen.« Ihre Stimme klang scharf, aber sie blinzelte auch mehrmals krampfhaft.
»Dann ist das unser Abschied«, sagte Valentine und gab ihr seine Steyr. »Vielleicht hilft dir die beim Wettschießen.«
Sie legte sich die Waffe auf die Knie. In dem überdimensionierten Uniformhemd sah sie aus wie eine schöne, aber schwer bewaffnete Gartenzwergin. »Kannst du … nochmal darüber schlafen? Vielleicht sieht morgen schon wieder alles anders aus. Wir können reden. Du bist klug genug, vernünftigen Argumenten …«
Das Letzte, was Valentine wollte, war sie zu küssen, aber er musste feststellen, dass das ganz von allein passierte.
»Sie werden mich suchen, und dein Bett ist das Erste, in dem sie nachsehen werden. Wenn sie nach dem Giro fragen, stell dich dumm. Ich muss dir noch etwas hochoktanigen Treibstoff klauen.«
»Lass mich meine Stiefel wieder anziehen«, sagte sie. Ein Schnürband riss, als sie sie zuschnüren wollte. »Mist! Ich sollte eigentlich hart im Nehmen sein. Ich habe so viel durchgemacht … aber kaum kommt man ein bisschen aus der Deckung heraus, ist es, als hätte man nie etwas gelernt.« Sie wischte sich die Augen ab und schloss ihren Gürtel. »Ich helfe dir, die Kanister über den Zaun zu schaffen.«
10
M ount Omega: Um Mount Omega ranken sich so viele Legenden, dass jede Erzählung, in der es Erwähnung findet, mit einem Schatten des Zweifels behaftet ist.
Gewisse Tatsachen stehen nicht infrage. Mount Omegas Entstehungsgeschichte nimmt ihren Anfang mit der »Fitzhugh-Fantasterei«, ein Schlagwort, das aufkam, nachdem der Asteroid ZL-624 der Erde sehr nahe gekommen war. Der arme Dr. Donald Fitzhugh. Zwar hatten eigentlich zwei andere Astronomen den Fall bei der geheimen Regierungssitzung mit ihm zusammen vorgetragen, doch deren Namen klangen in Verbindung mit »Fantasterei« nicht annähernd so gut. Deshalb wurden sie von der Geschichte vergessen und nicht mit der enormen Panik in Verbindung gebracht, die bei der Annäherung von ZL-624 ausgebrochen war. Der Vorhersage nach hätte der Asteroid zu Beginn der zweiten Dekade des einundzwanzigsten Jahrhunderts irgendwo zwischen dem Mississippi River und den Azoren aufschlagen sollen, weshalb Mount Omega in aller Eile mit Geräten und Anlagen aus der Atommülldeponie in Nevada eingerichtet wurde.
Auch nachdem aktuellere Daten einen knappen Vorbeiflug nahelegten, wurden die Arbeiten an Mount Omega fortgesetzt. Es war ein gewaltiges Objekt, das Tausenden und Abertausenden von hochbezahlten Bauarbeitern und Technikern mit hoher Sicherheitsfreigabe überall im ländlichen Washington und im nördlichen Oregon einen Arbeitsplatz garantierte. Das auf elf Monate angelegte »Geld-ist-kein-Problem«-Projekt zog sich bis in die zweite Dekade hinein. Schließlich schaffte es Mount Omega
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