Flurfunk (German Edition)
wollen, bedeutet ’ne Menge. Ich habe vor vielen Sachen Angst, mich plagen Unsicherheiten, die andere nie sehen, wozu bin ich auch Schauspieler? Manchmal bin ich viel zu impulsiv und ruhe nicht in mir, um nur einige Punkte aufzuzählen.«
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass wir uns echt anfühlten. Authentisch, ohne Angst. »Lass es uns einfach langsam angehen und schauen, Justus!«
fünfunddreißig »Lena, bist du fertig? Wir müssen los!«
»Tadaaa, da bin ich. Und wie seh ich aus?«
Unkonventionell, aber interessant wie immer. Den 20er-Jahren entsprungen, mit ondulierten Haaren, langer Kette, einer Stirnfeder und einem schwarzen, mit Pailletten bestickten Kleid, dessen lange Fransen bei jeder Bewegung baumelten. In der Hand trug sie einen Zigarettenhalter, und die Augen waren großflächig dunkel geschminkt.
»Super! Man denkt, du fängst jeden Moment an, Charleston zu tanzen.«
»Ja, nicht? Habe ich alles auf dem Flohmarkt gefunden!«
Wir waren auf dem Weg zum dreißigsten Hochzeitstag meiner Eltern. Natürlich ließ sich meine Mutter nicht die Gelegenheit entgehen, ein Fest zu geben. Mein Vater, der es hasste, im Mittelpunkt zu stehen, musste gezwungenermaßen mitmachen. Auf der Einladung hatte im Übrigen gestanden, dass die Damen sich dem Anlass gerecht in weißer Abendgarderobe einfinden sollten, die Herren im Smoking.
Natürlich ließ Lena sich ihren Auftritt als schwarzes Schaf nicht entgehen und hatte fieberhaft nach einem durch und durch schwarzen Outfit gesucht. »Diese Gleichmacherei ist doch das Letzte! Typisch deutsch! So ’ne Vereinsmeierei im Partnerlook. Wo bleibt da die Vielfalt!« Ich freute mich jetzt schon auf die entsetzten Gesichter. Als brave Tochter kam ich natürlich in einem weißen Kleid, denn im Gegensatz zu Lena, die neuerdings ja als Rebell gefeiert wurde, durfte ich mit null Toleranz und Zeter und Mordio rechnen, wenn ich solch einen Auftritt wagen würde.
Als wir die Auffahrt hochfuhren, sah ich schon, dass die Gärtner ganze Arbeit geleistet hatten. Überall waren Maiglöckchen, weiße Lilien und rosarote Landhausrosen verteilt. Dazu weiße Bänder und Efeu, wohin man auch blickte. Wie immer, wenn meine Mutter feierte, war sogar das Wetter schön. Ein strahlender Frühlingstag und weiß gekleidete Damen und Herren im Smoking.
»Wenn man es nicht wüsste, könnte man meinen, aus Versehen auf einer dieser Hochzeitsmessen gelandet zu sein«, stänkerte Lena, die sich umso mehr auf ihren Auftritt freute.
Kaum waren wir ausgestiegen, da hatte meine Mutter uns auch schon entdeckt. Sofort kam sie auf uns zugestürmt und begutachtete Lenas Aufmachung mit deutlichem Missfallen. Sie zog mich beiseite.
»Hast du Lena nicht Bescheid gegeben? Das ist doch keine Beerdigung hier! Was sollen denn die Leute denken? Jetzt wird jeder fragen, was es mit dem schwarzen Kleid auf sich hat. Mein Hochzeitsfest ist ruiniert!«
»Ruiniert« zog sie besonders in die Länge, um es noch theatralischer wirken zu lassen.
Schon eilte Marlene zu Hilfe.
»Unmöglich. Das war ja wieder klar, dass sie sich nicht an den Kleiderkodex halten wird! Ich bewundere deine Geduld, liebe Susanna ! Dass du sie immer noch einlädst, zeigt dein großes Herz!«
Das gefiel meiner Mutter: als gnädige Wohltäterin aufzutreten.
»Was soll ich denn machen? Sie ist doch Carlottas Freundin und außerdem mit Casper Kröger liiert. Wie der das erträgt, ist mir allerdings schleierhaft. Ich finde ja auch, dass Frau Kröger sehr gealtert ist, seit diese Liaison besteht.«
Kopfschüttelnd gingen die beiden ins Haus, Lena, die bereits vorausgegangen war, erwartete mich mit einem zufriedenen Grinsen.
»Und wie war ich? Die Party schon nach zwei Minuten gesprengt? Ich werde immer besser!«
Casper stand neben ihr und reichte mir ein Glas.
»Hier, Lotte, trink. Gemeinsam sind wir stark. Man weiß ja nie, was Lena sich als Nächstes einfallen lässt.« Dabei setzte er ein leidendes Gesicht auf. In Wirklichkeit war es aber genau Lenas streitbarer Geist, das Unvorhersehbare an ihr, das ihn fesselte. Klar, wenn man aus einer Welt kam, in der die Morgenzeitung vom Dienstmädchen gebügelt wurde, damit den Herrschaften keine Druckerschwärze an den Fingern kleben blieb!
»Lotte! Da bist du ja!«
Eine aufgeregte Caroline kam auf mich zugerannt.
»Wir sind gerade gelandet. Hab mich im Taxi schon umgezogen. Ach, das ist übrigens Laurent.«
Neues Spiel, neues Glück. Diesmal ein Franzose, wie passend zu einem Fest der
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