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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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entschließen loszulassen. In Lewis’ Gesicht drückten sich Befremden und Entschlossenheit aus. So standen wir beide da und hielten den Pfeil. Kein Blut war mehr daran, aber die Federn waren noch naß vom Fluß, in dem Lewis ihn gesäubert hatte. Er sah aus wie jeder andere Pfeil, der im Regen gelegen hatte, im Tau oder im Nebel. Ich ließ los.
    Lewis legte den Pfeil an, spannte den Bogen, wie er es in meinem Beisein schon hundertmal getan hatte, souverän und erfahren, viel sachgerechter und präziser als die Bogenschützen auf griechischen Urnen – und er stand da: ganz Konzentration. Vor uns war nur das schwarze Wasser des Tümpels. Lewis aber zielte auf einen ganz bestimmten Punkt darin: vielleicht auf einen einzelnen Tropfen, der sich noch bewegte und früher oder später zur Ruhe kommen mußte. Der Pfeil blitzte silbern auf und war auch schon verschwunden, während Lewis noch in der Abschußhaltung verharrte, als läge der Pfeil noch auf der Bogensehne. Nichts schien den Pfeil im Tümpel aufgehalten zu haben, weder Holz noch Stein. Er war verschwunden, als sei er durch den Morast bis zum flüssigen Mittelpunkt der Erde vorgedrungen. Wir nahmen die Leiche wieder auf und gingen weiter. Nach einiger Zeit kamen wir zu einer Erhebung, bedeckt mit Farnen und Blättern, die zu einem braunen Brei vermodert waren. Lewis wandte sich zu uns um und kniff das eine Auge zusammen. Wir legten die Leiche nieder. Der eine Arm war nach hinten verrenkt, und der Gedanke, daß der Tote dabei keinen Schmerz empfand, war schlimmer als alles Vorangegangene. Lewis kniete sich hin. Er begann mit dem zusammenklappbaren Militärspaten zu graben, den wir mitgebracht hatten, um Latrinenlöcher auszuheben. Der Boden war locker, zumindest das, was ihn bedeckte. Es war keine Erde. Es waren Blätter und verrottetes Gezweig. Es roch nach jahrhundertealtem Moder.
    Sollen sie ruhig alles überfluten, dachte ich, verrottet und verkommen, wie hier alles ist. Drew und ich hockten uns hin und halfen Lewis mit den bloßen Händen beim Graben. Bobby stand da und sah in die Bäume. Drew grub wie besessen, ganz an diese praktische Arbeit hingegeben. Der Schweiß stand in seinem kantigen Gesicht mit den Aknenarben, und sein schwarzes, von Pomade glänzendes Haar hing ihm in Strähnen über das eine Ohr. Es war ein düsterer Ort, still und stickig. Als wir die Grube ausgehoben hatten, war an meiner Fliegerkombination kein trockenes Fleckchen mehr. Wir hatten eine schmale Grube von etwas mehr als einem halben Meter Tiefe gegraben. Wir hievten den Toten hinein und rollten ihn auf die Seite. Unendlich fern von uns lag er da. Lewis streckte seine eine Hand aus, und Bobby gab ihm das Gewehr. Lewis legte das Gewehr in die Grube, zog dann seine Hände auf die Knie zurück und spähte hinab. Dann griff er mit der rechten Hand wieder ins Grab und gab dem Gewehr eine andere Lage. »Okay«, sagte er. Wir schaufelten und scharrten wie wild Erde und Moder wieder zurück. Ich warf von dem verrotteten Zeug etwas auf sein Gesicht, um es rasch zu verdecken. Es war nicht schwer – zwei Händevoll genügten. Der Tote verschwand, wurde langsam eins mit der wuchernden Sinnlosigkeit dieser Wälder.
    Als die Grube zugeschüttet war, warf Lewis eine Schicht verfaultes Laub darüber. Wir richteten uns auf den Knien auf. Wir beugten uns schwer atmend vor und stützten die Hände auf die Oberschenkel oder die Erde vor uns. Ich hatte einen Augenblick lang den dringenden Wunsch, ihn wieder auszugraben, mich auf Drews Seite zu schlagen. Jetzt wußten wir noch, wo er war. Aber wir hätten bereits zu viel erklären müssen: den Schmutz an seinem Körper, die Verzögerung, überhaupt alles. Oder sollten wir ihn doch wieder herausholen und im Fluß waschen? Dieser Gedanke enthob mich jeden Zweifels: es war unmöglich. Und ich stand zusammen mit den anderen auf.
    »Hier wächst bald Farn drüber«, sagte Lewis.
    Es war gut, eine Stimme zu hören, besonders die seine.
    »Den finden sie in tausend Jahren nicht. Ich bin nicht mal sicher, ob wir die Stelle wiederfinden würden.«
    »Noch ist es Zeit, Lewis«, sagte Drew. »Denk lieber noch einmal darüber nach, ob du auch weißt, was du tust.«
    »Ich weiß es«, sagte Lewis. »Der erste Regen wird hier alle Spuren verwischen. Kein Hund könnte uns hierher folgen. Wenn wir den Fluß hinter uns haben, sind wir in Sicherheit. Glaubt mir das.«
    Wir machten uns auf den Rückweg. Ich hätte ihn nicht gefunden, aber Lewis blieb von Zeit zu Zeit

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