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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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Gold. Das Gesträuch, fast nur Waldlorbeer und hohe Rhododendren, bildete ein niedriges Blattgewölbe über dem Gewässer, so daß wir alle Augenblicke in die Knie gehen und uns durch Blattwerk und Gezweig einen Weg bahnen mußten, die Brust gegen das Wasser gestemmt, das uns aus dem grünen Dickicht entgegendrang. An manchen Stellen war es ein grüner Tunnel, in dem man nie ein menschliches Wesen vermutet hätte, dann wieder eine lange grüne Halle, wo das Wasser plötzlich Farbe und Temperatur änderte und sonderbar still war. In dieser nicht enden wollenden, vom Wasser durchfluteten Blätterhöhle hatten wir uns, als ich auf die Uhr sah, schon zwanzig Minuten lang vorwärts gekämpft. Die Zweige schlugen uns ins Gesicht und verdeckten immer wieder den Wasserpfad, den unsere Füße mühsam suchen mußten, aber es gab nur eins: voran. Ich fragte mich, was um alles in der Welt ich wohl tun würde, wenn die anderen plötzlich verschwänden, wenn der Wasserlauf nicht mehr da wäre und ich allein mit der Leiche im Wald dastünde. Welche Richtung würde ich wohl einschlagen? Würde ich je den Fluß wiederfinden, ohne mich an dem Gewässer hier orientieren zu können? Wahrscheinlich nicht, und mit all meinem Denken und Fühlen klammerte ich mich an die anderen; nur gemeinsam mit ihnen würde ich hier wieder herauskommen. Hin und wieder blickte ich in das Kanu und sah den Toten darin liegen, mit nach hinten geneigtem Kopf, die eine Hand über dem Gesicht, die Beine gekreuzt – die Karikatur eines Kleinstadttagediebs aus den Südstaaten, der zu faul ist, außer schlafen noch etwas anderes zu tun. Lewis hob die Hand. Wir richteten uns auf und drückten das Kanu gegen die Strömung, damit es nicht zurücktrieb. Lewis kletterte gewandt wie ein Tier das Ufer hinauf. Drew, Bobby und ich standen da mit dem Kanu und dem schlafenden Mann zwischen uns, der neben unseren Hüften vom Wasser gewiegt wurde. Das Unterholz um uns war so dicht, daß man es an manchen Stellen nicht einmal mit dem Arm hätte durchdringen können. Man hätte uns von überallher aus dem Dunkel beobachten können, von jedem Baum, aus jedem Busch, aber nichts geschah. Ich fühlte, wie die Hände der anderen das Boot festhielten. Nach ungefähr zehn Minuten erschien Lewis wieder – hinter einem Zweig, den er aus dem Wasser hochgebogen hatte. Es war, als hätte sich der Baum von selbst bewegt. In diesen tiefen Wäldern hier hatte ich das Gefühl, als sei es nichts Ungewöhnliches, wenn sich die Zweige langsam, aber entschlossen hoben, um Lewis Medlock den Weg freizugeben. Wir banden das Kanu an einem Busch fest und hoben den Toten heraus; jeder von uns packte an der gleichen Stelle zu wie zuvor. Ich hatte das Gefühl, als weigere sich alles in mir, ihn irgendwo anders anzurühren. Lewis hatte keinen Pfad gefunden, aber er war auf eine Baumlichtung gestoßen, die landeinwärts lag und, wie er sagte, flußaufwärts. Das war gut genug; das konnte nicht besser sein.
    Wir zogen los und arbeiteten uns von dem Wasserlauf fort, zwischen großen Mooreichen und Amberbäumen hindurch, die aller Zeit zu trotzen schienen. Stolpernd torkelten wir mit der Leiche entlang, schweißbedeckt und verklebt, und wanderten mühselig zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Schon nach den ersten Umgehungsmanövern hatte ich keine Ahnung mehr, wo wir waren, und seltsamerweise genoß ich es geradezu, derart verloren zu sein. Wenn man so tief wie wir in einer Sache drinsteckte, dann war es besser, sie bis zum Ende durchzustehen. Als ich das sanfte Strömen des Wassers nicht mehr hörte, wußte ich, daß ich verloren war, daß ich durch die Wälder irrte und eine Leiche beim Arm gepackt hielt. Lewis hob wieder die Hand, und wir ließen den Toten auf die Erde sinken. Wir waren an einem Sumpfloch angekommen, einem blauschwarzen Tümpel abgestandenen Wassers, das aus einem Rinnsal stammte oder aus der Erde an die Oberfläche gequollen war. Der Boden ringsum war morastig und gluckste, und ich scheute mich weiterzugehen; dabei war ich doch eben noch mit den anderen bis zu den Hüften durchs Wasser gewatet. Lewis gab mir ein Zeichen. Ich ging zu ihm, und er nahm den Pfeil aus dem Köcher, mit dem er den Mann getötet hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er noch vibriert hätte, aber er tat es nicht; wie die anderen Pfeile war er gefügig und einsatzbereit. Ich betastete ihn: er war makellos gerade. Ich hielt ihn Lewis wieder hin, konnte mich dann aber aus irgendeinem Grunde nicht

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