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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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Mumm, sondern um das Gesetz.«
    »Siehst du hier irgendwo ein Gesetz?« fragte Lewis. »Wir sind das Gesetz. Was wir beschließen, wird gemacht. Wir können ja abstimmen. Ich werde mich dem Ergebnis fügen. Und du wirst es auch tun, Drew. Du hast keine andere Wahl.« Lewis wandte sich wieder an Bobby. »Was meinst du?«
    »Weg mit dem Saukerl«, sagte Bobby mit belegter, würgender Stimme. »Glaubst du, ich will die Sache an die große Glocke hängen?«
    »Ed?«
    Drew fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum.
    »Überleg, was du tust, Ed, um Himmels willen«, sagte er. »Dieser von sich selbst berauschte Idiot bringt uns alle lebenslänglich ins Gefängnis, wenn nicht sogar auf den elektrischen Stuhl. Du bist ein vernünftiger Mann, Ed. Du hast Familie. Du hängst doch gar nicht in der Sache drin, wenn du nicht einfach mitmachst, was Lewis will. Hör auf die Vernunft, tu es nicht. Ich flehe dich an. Tu es nicht.«
    Was konnte man mir schon nachweisen? Nichts. Ich war schließlich nur an einen Baum gefesselt gewesen und hatte nichts getan. Ich war überzeugt, daß Lewis uns schon aus der Patsche helfen würde. Ich wollte also mitmachen und die Leiche verstecken, und wenn man uns später erwischen sollte, konnte ich immer noch behaupten, mir sei nichts anderes übriggeblieben, ich sei von den anderen überstimmt worden.
    »Ich bin dabei«, sagte ich und wandte mich von Drew ab.
    »Okay«, sagte Lewis und packte den Toten an den Schultern. Er rollte ihn herum, packte die Spitze des Pfeils, die aus der Brust herausragte, und begann zu ziehen. Er mußte beide Hände nehmen und sich sehr anstrengen, um ihn zu lockern, und dann zog er den dunkelrot gefärbten Pfeil mit aller Kraft aus dem Körper heraus. Er stand auf, ging zum Fluß und säuberte ihn. Dann kam er zurück. Er steckte den Pfeil wieder sorgfältig in den Köcher. Ich reichte Bobby das Gewehr und ging zu dem Baum, um meinen Gürtel, das Seil und das Messer zu holen. Dann beugten Drew und ich uns herunter, um den Toten bei den Schultern zu packen, während Bobby und Lewis jeder ein Bein ergriffen und mit ihrer freien Hand das Gewehr und den Bogen und einen zusammenklappbaren Spaten trugen, den sie aus dem Kanu geholt hatten.
    Die Leiche hing schwer zwischen uns, außerordentlich schwer, und bei dem Versuch, mich wieder aufzurichten, ging mir die Bedeutung des Begriffs totes Gewicht auf. Wir gingen in die Richtung, aus der Lewis gekommen war. Wir hatten noch nicht zwanzig Meter zurückgelegt, als Drew und ich unter der Last ins Wanken kamen; mühsam schleppten uns unsere Füße durch das trockene Gras. Einmal hörte ich ein rasselndes Geräusch, das von einer Klapperschlange kommen mußte. Ich blickte vor mir auf die Erde, rechts und links von der Leiche, die, mit den Füßen halb auf dem Boden, vor mir in den Wald glitt. Der Kopf des Toten hing nach unten und pendelte zwischen Drew und mir hin und her. Es war unglaublich. Selbst in meinen schlimmsten Träumen hatte ich so etwas noch nie getan. Es hatte etwas von einem Pfadfinderspiel, doch trifft dieses Wort nicht das Gefühl, das ich dabei empfand. Ich wußte, es war kein Spiel, und ich betrachtete den Toten immer wieder, ob er nicht aus dieser unwirklichen Starre erwachen und aufstehen würde, um uns allen die Hand zu schütteln wie jemand, den wir gerade im Wald getroffen hatten und der uns sagen konnte, wo wir uns befanden. Aber der Kopf hing weiter pendelnd herunter, und wir gaben uns Mühe, ihn nicht über den Boden schleifen zu lassen und vom Gestrüpp und vom dornigen Gezweig fernzuhalten.
    Schließlich kamen wir an den kleinen Nebenfluß, wo Lewis’ Kanu lag. Das Wasser bahnte sich seinen Weg zwischen den Zweigen hindurch, und der Wasserlauf sah aus, als bestünde er zur einen Hälfte aus langsam fließendem Wasser und zur anderen Hälfte aus Buschwerk und Gezweig. In meinem ganzen Leben hatte ich so etwas noch nicht gesehen, aber jetzt sah ich es vor mir. Ich half Lewis und den anderen dabei, die Leiche ins Kanu zu heben. Es lag tief und schwer in dem mit Blättern und Zweigen bedeckten Wasser, und wir fingen an, es den Nebenfluß aufwärts zu schieben, tief in den Wald hinein. Durch die dünne Gummisohle meiner Tennisschuhe spürte ich jeden Kieselstein, und das Wasser umspülte ungreifbar wie ein Schatten meine Beine. Wir taten, was getan werden mußte. Lewis ging voran und zog das Kanu am Bugtau. Gebeugt watete er durch das Wasser, mit dem Tau über der Schulter, als schleppe er einen Sack

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